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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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zu
pumpen. Die stehende Hydrokacksäule steht dann allerdings unter
suppenstatischem Dauerdruck und kehrt daher logischerweise auch gern zurück.
    Onkel
ONKEL und der Geruchskünstler wurden Freunde. Wegen dem Geruchsstau, der in dem
ebenfalls vom Onkel zusammengezimmerten Toilettenverschlag zu befürchten war,
bekam der Geruchskünstler nachträglich auch eine Luftabzugsanlage verpaßt. Es
war ein baugleiches Modell, wie es Onkel oben auch besaß.
    - Er muß
seine Nasenschleimhäute unbedingt schützen. Deswegen raucht er auch nicht und
benutzt keine scharfen Gewürze. Alkohol trinkt er natürlich auch nicht.
    Die beiden
saßen oft zusammen in dem kleinen Wohnzimmer des Mannes im ersten Stock, und
Onkel rauchte seine Pfeifen oft eben dort - und grundsätzlich bei offenem
Fenster. Wenn einer von den beiden auf die Toilette ging, konnte ihm der andere
kurbelnd behilflich sein. Die dichten Rauchwolken, die bei Onkels Paff-Orgien
oft dicht an der Hauswand aufstiegen, krochen wenig später in die Fenster der
höher gelegenen Wohnungen, also auch in unsere Wohnung. Anfangs hatte man den
Onkel verdächtigt, er hätte mit seiner angezündeten Pfeife zwischendurch -
trotz des strikten Verbots - andere Räume unserer Wohnung betreten. Dabei
rauchte er einfach die ganze Zeit zwei Stockwerke tiefer am Fenster seines
neuen Freundes, lachte dort laut und leerte behutsam seine Likörfläschchen.
    Sonst
passierte bei uns zu Hause nichts aufregend Neues. Wie mir gelegentlich über
den alltäglichen Stillstand berichtet wurde, fand ich etwas erschreckend. Aber
es half mir eines Tages wenigstens zu verstehen, warum bei uns alle am
glücklichsten waren, wenn sich im Leben überhaupt nichts änderte oder zumindest
wenig tat. Auch früher war es nicht anders gewesen: Wenn ich manchmal
vorgeschlagen hatte, in unserem Wohnbereich eine Kleinigkeit zu verschönern,
war mein Wunsch als ungehörig abgetan und ich womöglich als Spießer verhöhnt
worden. Alle üppigeren Veränderungsträume waren bei uns sowieso verpönt, galten
als unvernünftige und nicht ungefährliche Phantasmen; und rebellische Ansätze,
sie trotzdem zu realisieren, stufte man gleich als kriminell ein. War doch
jeder Veränderer nur dabei, das Bestehende und immer noch einigermaßen
Funktionierende aus REINER WILLKÜR durcheinanderzubringen - also ohne jede
existentielle Bedrohung und objektive Not. So gesehen konnten solche
dazugehörigen Impulse nur in einem beinahe geistesverwirrten Seeleninneren
geboren worden sein und würden sowieso nur ungesunde Verschwendung bedeuten.
Solange draußen keine Pogromstimmung aufkam, solange man nicht tatsächlich
gezwungen wurde, sich zu rühren, schien es ratsam, sich ruhig zu verhalten. Man
sollte sich offenbar in Zufriedenheit üben und es vermeiden, mit störender
Agilität seine Umwelt zu provozieren.
    So gesehen
war Onkel ONKEL tatsächlich nie einer vor uns. Politisch - also in einem Punkt
- war er es aber zum Glück doch. Politisch konnte man auf ihn zählen, obwohl
er, um seine verantwortungsvolle Arbeit zu behalten, nach dem Einmarsch als
einziger aus der Familie in der Partei geblieben war - also die Säuberungen
heil überstanden hatte.Meine Mutter und Tante Eva hatten sich
selbstverständlich geweigert, die militärische Okkupation als Befreiung zu
sehen und für die brüderliche Hilfe gegen die Konterrevolution dankbar zu sein.
Onkels Scham über die parteiliche Erniedrigung wurde taktvoll respektiert, und
seine Parteimitgliedschaft bekam mit der Zeit den schlimmen Geheimnisses. Tante
Bombe war schon immer parteilos, staatenlos
     
    egal,
was man ruft, unten hören die leute immer nur »hilfe!«
    Im Winter
kamen vor allem solche Bergsteiger auf die Hütte, die unbedingt die mit Eis und
Schnee bedeckten Nordwände besteigen wollten. Die Tage waren kurz, oft mußten
die Burschen mitten in der Wand biwakieren und kamen erst am nächsten Tag mit
abgefrorenen Fingerspitzen oder gefährlich unempfindlichen Zehen zurück. Das
wollte ich ihnen nicht unbedingt nachmachen, ich wartete lieber auf den
Frühling. Eins lernte ich aber dabei: Wenn niemand schrie, mußte und sollte man
sich auch keine Sorgen machen, man ging einfach schlafen. Es hätte keinen Sinn
gehabt, an irgendwelche Unbekannten, über deren Qualitäten und Standorte man
nichts wußte, seine Gedanken zu verschwenden - helfen konnte man ihnen sowieso
nicht. Wenn also im Tal kein Gebrülle zu hören war, wurde die jeweilige Absenz
beim Rettungsdienst nicht gemeldet.

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