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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Vielleicht
nachdem du alles zerhauen hast, Georg, warte mal ab. Das Erzählen hat etwas
Magisches, glaub mir. Im Grunde will man als Leser - in jedem Zeitalter - immer
nur wissen, wie es weitergeht, und vor allem, wie es in seinem eigenen Leben
weitergehen wird und ob es besser wird. PAPA, MAMA, WIE GEHT ES WEITER ...
    - Ist das
nicht etwas kindisch? sagte ich vorsichtig.
    -
Natürlich! Aber egal, wie kindisch solche Sehnsüchte sind, sie helfen einem
weiter.
    -
Schreibst du weiter an den Erinnerungen?
    - Nein.
Ich wurde vor allem mit den fünfziger Jahren furchtbar unzufrieden. Außerdem
stecke ich täglich so tief in dem, was jetzt los ist... mir fällt es sowieso
schwer, mich mit meinem vergangenen Kleinkram zu beschäftigen. Ich würde viel
lieber Prosa schreiben, kann es aber nicht. Noch zu den Romanen: Wenn die
Geschichte gut ist, kann man beim Lesen die eigene Gegenwart in die Zukunft
verlagern und sie dort auch fühlen. Als Leser durchbricht man im Grunde eine
Art Schallmauer, flüchtet aus dem Jetzt nach vorn ... Ich höre jetzt aber auf
zu dozieren.
    Nach einer
Pause fragte er mich:
    - Wohnst
du noch zu Hause?
    - Ja.
    - Alles
tolle Frauen um dich herum, wunderbare Menschen. Du solltest aber unbedingt
ausziehen, hörst du. Von deinem Vater wirst du dich nicht befreien müssen, das
wird der Verrückte schon selbst erledigen. Ich kannte Lad'a vom Studium ganz
gut, das weißt du aber. Er war ein ganz großer Trickser, lernte immer nur kurz
vor den Prüfungen. Damals nannten ihn manche noch Ladios, das hat er dir
vielleicht verschwiegen. Den Namen hatte er schon vor Urzeiten auf dem
Gymnasium von seinem Griechischlehrer bekommen.- Von meiner Mutter kenne ich
einen anderen alten Spitznamen von ihm - Tabakschnorros.
    - Seine
Eltern waren arm gewesen. Dein Großvater hat das ganze Leben die Prager
Straßenbahnen angestrichen, nicht wahr?
    Nach der
Implosion unseres Sozialismus, also der Umvolution von 1989, traf ich Kläda
noch zwei- oder dreimal. Eins der Gespräche war etwas länger.
    -Was ich
neulich gehört habe! sagte er. Ich mußte erst einmal länger nachdenken, wie der
Mensch auf diesen Unsinn überhaupt kommen konnte - dabei ist er kein Dummer. Er
meinte, die Dissidenten hätten in ihren Kreisen die ganze Zeit nicht jeden
Normalsterblichen geduldet, weil sie später - sozusagen in weiser Voraussicht
der zukünftigen Ordnung - die politischen Posten nur unter sich verteilen
wollten.
    - Verstehe
ich nicht ganz.
    - Mußt du
auch nicht, warte ... Mir persönlich ging es gut, habe auch nie gejammert -
aber die anderen, das waren doch alles mutige Leute, oder? Und die sollten
damals spekuliert und auf den sinkenden Kurs der Kommunisten gesetzt haben?
Absurd! Existentiell war alles vollkommen ungewiß. Vor allem die jüngeren Leute
hat die Polizei gezielt drangsaliert - geprügelt, kahlgeschoren, mit brennenden
Streichhölzern gequält. Und die Volksseele verliert kein Wort über die eigene
Feigheit.
    - Alle
sagen jetzt generell »unter den Kommunisten«. Egal, wieweit sie selbst
mitgemacht haben.
    - Das
alles hat etwas Entrücktes. Aber die Leute vergessen nichts und erlassen auch
nichts - an sich ist das in Ordnung. Die Jüngeren hatten diesen Staat außerdem
nie gewollt - wir dagegen ja. Ich habe mich damals mit großer Begeisterung ins
Zeug gelegt, war ein geschickter Agitator - das kannst du mir ruhig glauben.
Für solche Dinge bekommen wir jetzt auch ordentlich Dresche.- Daß der Mut aus
der Dissidentenzeit so wenig zählt, finde ich trotzdem bescheuert. Von der
Mitschuld könnte man euch einiges auch erlassen.
    - Wir sind
hier nicht in Südafrika, von mir aus sollen die Leute ruhig stur bleiben. Das
kollektive Wissen ist sowieso hartnäckig, man müßte sich über das zögerliche
Vergessen eigentlich freuen. Die Rekatholisierung unter den Habsburgern ist
beispielsweise auch nicht vergessen - und die begann vor über
dreihundertfünfzig Jahren. Die Tschechen sind bis heute nicht tief gläubig.
    - Meinst
du die Katholiken?
    - Nein,
das betrifft doch alle. Die Leute glauben bei uns generell eher pro forma,
jedenfalls nicht wirklich inbrünstig. Die Vergewaltigung traf damals die ganze
Nation - und der Katholizismus war nichts anderes als die Religion der
damaligen Okkupanten. Was uns davon geblieben ist, ist unsere Skepsis. Es gibt
bis heute kaum Fanatismus. Man sollte mit den Leuten nicht zu streng sein.
    - Das
sagst gerade du?
    - Ja, ich
muß es unbedingt so sagen. Wir fühlten uns damals wie Menschen eines

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