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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Beispiel ein übler Fanatiker in der Fünfzigern, lachte der Philosoph K. -
und auch als junger Professor war ich nicht viel besser. Dumm war ich trotzdem
nicht, und die bekloppten Achtundsechziger später im Westen auch nicht.
    - Wir
können darüber morgen weiterreden, sagte Klaudius. Bei mir in der Wohnung wird
es wenigstens abgehört und ordentlich protokolliert. Und du wirst deinen dummen
Spruch schlüssig begründen müssen, bist doch ein kluger Schriftsteller - nicht
wahr?
    - Ich
unterhalte mich doch oft mit normalen Leuten, schon aus Neugier, wehrte sich P.
H. Was für ein Quatsch die sich eintrichtern lassen, das glaubt ihr gar nicht.
    - Reden
wir morgen darüber, okay?- Das, was er meint ... also was dahinterstehen
könnte, ist vielleicht die Denkschlamperei der Leute, ihr emotionaler
Vandalismus. Pfiffig sind sie trotzdem.
    - Was mir
dazu noch einfällt, sagte H.: In ihrer unfreiwillig würdelosen Art machen sie
sich oft etwas lächerlich, ironisieren AN SICH SELBST, am lebendigen Leib
sozusagen. Und auch wenn das nicht unbedingt Schwejkeln ist, gerade darin
könnte eventuell ein Stück davon stecken.
    - Ich kann
nicht mehr! rief Klaudius.
    - So oder
so, sagte der Philosoph K., die Intelligenz der Tschechen ist, was ihre
sprachlichen Fähigkeiten betrifft, auf jeden Fall beeindruckend. Das innovative
Potential der Sprache ist zum Glück auch enorm. Die Leute kreieren oft über
Nacht Neologismen, irgendwelche Kürzel werden zu Verben, es gibt scharfgenau
denunzierende Mißbildungen - und alle diese Neuwörter sind subversiv ohne Ende.
Das müßtest du den Leuten doch lassen.
    - Das
stimmt, sagte P. H.
    - Mich
stört dabei einiges trotzdem maßlos, mischte sich Kläda ein. Zum Beispiel die
vielen Diminutive. Sie sind oft inadäquat bis geschmacklos, alles mögliche wird
verniedlicht und verharmlost. Neulich hat mir jemand erzählt: Man belästigt die
parteilosen Lehrer - nach ihrer Arbeitszeit wohlgemerkt - mit politischen
Nachhilfeschulungen, und sie nennen diese propagandistischen Zwangsmaßnahmen
gemütlich »posezenicko«, Nachsitzerchen.
    - Die
Sprache verrät alles mögliche - ob man es will oder nicht, sagte der Philosoph
K. Neulich hörte ich jemanden »pfihodicka«, Vorfallchen, statt Schlaganfall
sagen. An sich hat das bei uns aber Tradition, denke ich - nach der
tschechischen Blasmusik zu urteilen, müßte das Volk schon seit Generationen immer
gut gelaunt gewesen sein. Und noch ein Beispiel für diese Art von
Verniedlichung: Das Wort für Handschellen ist ein Diminutivum - »zelizka«.
Eisenchen. Nett gesagt, oder?- Nachsitzerchen, dieses »posezenicko«, bringt -
analog zu den Handschellen - auch eine Art Freiheitsberaubung mit sich, sagte
Kläda. Mit der Tendenz, auch Tradition von mir aus, hast du bestimmt recht. Mit
Schwejkeln haben diese Verniedlichungen allerdings wieder nichts zu tun.
    - Hat
jemand Lust zu lernen, wie man Schaufenster ruck, zuck sauber bekommt? Das ist
auch kein Schwejkeln. Wegen meiner Übersetzungen ist es für mich existentiell,
fügte der Chefredakteur etwas entnervt hinzu. »Der eiserne Gustav« darf
endgültig nicht erscheinen, wißt ihr das schon? Wegen unserem lieben Präsidenten.
    - Nur weil
Husäk Gustav heißt?
    - Genau,
nur wegen dem GUSTAV.
    Irgendwann
löste sich die Gruppe auf, die Männer hatten noch andere Wege vor sich und
sicher noch viele interessante Dinge zu erledigen. Unsere Begleiter mußten sich
entscheiden und sich auch voneinander trennen. Ich blieb mit Kläda allein und
ging mit ihm zur Bibliothek, wo er mit jemandem verabredet war.

- An uns
kristallisiert sich das schlechte Gewissen, das die Leute mit der Zeit
angehäuft haben, sagte er nach einer Weile. Das werden wir noch zu spüren
bekommen, warte mal ab. Die Volksseele vermutet hinter jedem Dagegensein
intellektuelle Überheblichkeit.
    - Hat dich
jemand angegriffen?
    - Nicht
direkt, ich spüre das aber. Trotzdem würde ich das nicht so persönlich nehmen.
Ich bin ein glücklicher Mensch, mir fehlt nichts. Über diese, im Grunde unsere
Zeit sollten unbedingt jüngere Leute etwas schreiben. Alles muß aber noch etwas
reifen, das ist klar. Von unserer Garde kommt zwar viel kluges Zeug,
intellektuell erreicht man die Leute niemals wirklich. Man müßte Romane oder
Stücke schreiben. Außerdem sind wir Alten mit dem jetzigen Mist total
verstrickt.
    - Ich
werde keine Romane schreiben, Prosa lehne ich sowieso ab. Ich will lieber auf
alles draufhauen, möglichst auf jedes einzelne Wort.
    -

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