Faktor, Jan
Es
war aber etwas völlig anderes, dieser Krater war rechteckig. Wir kamen näher,
vor uns zog sich eine riesige, tief in den Boden eingelassene Kläranlage in die
Länge. Das mit kleineren Bäumen wild bewachsene Gelände sah gespenstisch aus,
hatte den Charmeeines Ortes für kultische, an Gewässern stattfindende
Bestattungsrituale.
- Alles
Handarbeit der Häftlinge, diese Senke. Wenn die Becken überliefen, blieb der
Dreck wenigstens drin, floß nicht in den Wald.
Auf dem
etwa zehn Meter unterhalb der Waldebene liegenden Areal waren kleinere und
größere runde Becken verteilt, alle waren vollgelaufen mit Wasser. Ihre
Oberfläche bedeckte die gewöhnliche »grüne Grütze«, in manchen schwammen tote
Rehe. Der Großteil der Senke war von betonierten und eng nebeneinander
liegenden Kanälen übersät, durch die der Dreck damals hin und her gejagt worden
war. An der Seite standen Betonboxen, manche waren noch voll hart gewordenen Kalks.
- Hier
wurden unter anderem die Säuren neutralisiert, das Abwasser mußte zurück in den
Fluß. Dort hinten sieht man noch die unterirdischen Abflußrohre.
- Von hier
aus - bis zum Fluß? Dazwischen liegt doch irgendwo die Stadt.
- Die
Rohre gehen unterirdisch kilometerweit, kommen erst unterhalb der Stadt wieder
am Ufer raus. Das zweite Klärwerk ist ein Stück weiter, alles sieht dort
genauso aus wie hier.
Bei der
Weiterfahrt mußte ich bald wieder anhalten, wir sollten uns noch das Gebäude
für die Gewinnung der Nitrozellulose ansehen. Die gefliesten Becken im zweiten
Stock wirkten relativ intakt, die Treppen auch. Die Dachkonstruktion hätten die
Russen gesprengt - es wenigstens versucht. Die Betonbalken hatten aber nur zum
Teil nachgegeben, manche knickten ein bißchen ein. Auf dem Rückzug aus dem
Skelettgebäude sah ich an einer intakten Wand noch verblaßte kyrillische
Buchstaben, im ersten Stock konnte ich durch die unteren Öffnungen der
trichterartigen Becken in den Himmel blicken.
- Nach dem
Krieg mußte man hier noch sehr vorsichtigsein. Wenn der Staub trocken war,
reichten zu einem Knall ein paar Funken. Einige Kinder hatten mal mit Steinen
geworfen ...
- Wie
viele Gebäude gibt es hier im Wald überhaupt?
-
Hunderte, angeblich waren es an die achthundert.
Mir war es
jetzt schon längst zu viel, wie es meiner Mutter ging, konnte ich mir auch
vorstellen. Sie hatte schon vor diesem Halt erschöpft ausgesehen und war jetzt
wieder beim Auto geblieben. Sie unterhielt sich dort immerhin mit dem jüngeren
Mann - interessierte sich aber eher für seine Gegenwart, wie sich
herausstellte. Technische Details, zumal industrielle, waren ihr sowieso nie
wichtig. Ich versuchte trotzdem, sie kurz über die Nitrozellulose aufzuklären.
-
Eigentlich heißt das Zeug Zellulosenitrat, -dinitrat oder -trinitrat... weiß
ich von Skopka.
- Laß das
doch, Georg. Ich habe die meiste Zeit nur Granaten gefüllt und
zusammengeschraubt. Und die Füllung tropfte uns dabei auf die Hände und war
heiß. Mein Problem waren dann die Brandwunden, weil sie nicht heilten - nicht
irgendeine Zellulose. Auch noch nicht Zellulitis. Außerdem waren wir pausenlos
übermüdet, und bei der Arbeit war uns so schön warm, wir schliefen oft ein.
- Das weiß
ich schon von Eva, in die Fabrik kommen wir aber leider nicht. Meine Mutter
wandte sich den Männern zu, lächelte und sagte:
- Von den
Giften bekamen wir der Reihe nach epileptische Anfälle, fielen um und schäumten
aus dem Mund. Ich bekam außerdem wunderschöne rote Haare. Alle, die etwas
hellere Haare hatten, wurden rot.
Diese
Geschichten kannte ich, mir waren sie mit dem gleichen Lächeln erzählt worden.
- Die
beste Arbeit war noch die mit Preßluft, wir mußten das Gewinde der Hülsen
reinigen. Aber vielleicht waren diese Geschosse gar keine Granaten, wir wußten
es nicht.
Wir fuhren
einen langen Betonweg entlang, bogen irgendwann ab - in Richtung des Flusses,
wurde uns gesagt. Bald konnte man durch eine Waldlichtung tatsächlich schon den
breiten Turm eines der beiden Wasserwerke sehen. Wir waren wieder in der Nähe
der Stadt.
- Wie
gesagt, oberhalb der Böschung zum Bober hin steht direkt an der Straße ein
Lager. Es ist sehr gut erhalten, nur die Holzbaracken natürlich nicht. Danach
müssen wir aber unbedingt noch zu dem Militärgelände fahren. An einer Stelle
sieht man von weitem die Fabrikgebäude - nur durch den Stacheldraht, aber
immerhin.
- Mir
reicht es, sagte meine Mutter. Und ich will sowieso keinen Stacheldraht sehen.
Dem
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