Faktor, Jan
Polen.
Der Bau
war gigantisch, war nirgends abgesichert oder abgesperrt, der Boden der Halle
war voller Löcher für die Luftzufuhr und den Abtransport der Asche. In dem
schummrigen Licht hätte man leicht stolpern und irgendwo verschwinden können.
Betontreppen ohne Geländer schienen intakt zu sein, und die beiden marschierten
bedenkenlos nach oben, ohne sich nach mir umzusehen. Da ich mir den Ausblick
von oben nicht entgehen lassen wollte, stellte ich keine Fragen. Auf einem
Treppenabsatz stärkten sich die beiden mit Wodka. Etwa in der Höhe des vierten
Stockwerks gab es eine lange begehbare Plattform, von deren Rand man in einen
breiten, schräg nach unten verlaufenden Schacht hineinsehen konnte. Dort liefen
früher zwei lange Transportbänder für die Kohlen, sagten sie mir. Unten im Wald
sah man hohe, aneinandergereihte Kohlebunker und die an ihnen entlangführenden
Eisenbahnschienen. Als ich von der Plattform aus eine etwas ramponierte Galerie
betreten wollte, rief man mich zurück.
- Uwaga,
uwaga, to troche niepewny teren! Ty dziury sa po rosyjskich czolgach.
Ausgerechnet dort klafften in der Außenhaut einige der lichtbringenden
Einschußlöcher - sie stammten, wenn ich es richtig verstand, von russischen
Panzerkanonen. Als ich mir nochmals den gigantischen dunklen Innenraum, diese
ehemalige Feuerhölle in der ganzen Ausdehnung ansah, wußte ich, daß es ein ganz
besonderer Ort zum Gedenken an den Holocaust sein könnte. Etwas Gigantischeres
würde man heute nirgendwo mehr errichten können.
Danach
gingen wir noch in die Kellerräume. Wie dort der Abtransport der Asche
abgelaufen war, konnte man sich gut vorstellen. Hinter irgendwelchen
Umkleidekabinen im Erdgeschoß entdeckte ich noch geflieste und relativ intakte
Duschräume. Als wir zum Auto zurückkehrten, war meine Mutter nirgendwo zu
sehen, kam aber bald aus dem Wald. Sie zeigte in Richtung einer Waldlichtung.
Dort sah man zwei genauso hohe Schornsteine wie die hiesigen.
- Auch ein
Kraftwerk, meinte der ältere.
- Wieso?
- Wszystko
podwöjnie, die Deutschen hatten sich alles doppelt hingestellt - wegen der
fließenden Produktion.
Offenbar
gab es hier alles zweimal, da es rund um die Uhr keine Ausfälle geben durfte.
Es gäbe auch zwei Wasserwerke, erzählte der Ältere noch, zwei Klärwerke, zwei
Aufbereitungsanlagen für Nitrozellulose und für die Säurekonzentration.- Ja,
kwas, richtig! sagte meine Mutter. Wir wußten über die Produktion aber sonst
gar nichts, durften wir auch nicht.
- Ich weiß
auch, wie die Fabrik hieß, also die Firma, sagte unser Mann - Ulme.
- Nein! Es
war Dynamit-Nobel, überall stand Deutsche Dynamit AG oder Alfred Nobel.
- Ja, ja,
der Tarnname war trotzdem Ulme. Und die Fabrik wurde nie bombardiert - und
wissen Sie, warum?
- Nein.
- In der
Firma steckte auch amerikanisches Kapital. Und es ist keine sozialistische
Propaganda.
- Die
Amerikaner hätten lieber hier ein paar Bomben abwerfen sollen, sagte meine
Mutter - statt alle nur in Dresden.
- Dafür
warfen sie aus Versehen einiges in Prag ab, nicht wahr?
Wir fuhren
weiter, links und rechts des Weges standen kleine Betonpfeiler - Alarmmelder,
sagten die beiden. Der ganze Wald sei voll davon.
- Als ich
klein war, hatte mich mein Vater hier oft herumgeführt, sagte der Ältere. Er
hatte mir erzählt, daß auch IG-Farben an der Produktion beteiligt war.
Der ganze
Wald sei nach dem Krieg voller Chemie und Abfälle gewesen, alles sei furchtbar
verseucht gewesen, erinnerte er sich noch. Der Staat habe sich um den deutschen
Dreck nicht gekümmert, Geld habe man für die Entsorgung sowieso nicht gehabt.
- Kurwa!
Über dem
Weg lag ein Baumstamm, wir stiegen aus.
- Przerwa,
Pause.
Die Männer
hielten es nicht aus und holten wieder die Wodkaflasche hervor. Mutter wollte
nicht, wirkte etwas apathisch, ich nahm einen Schluck aus Höflichkeit.
- Wo waren
hier eigentlich die Lager?
- Lager
waren da und dort, sie waren aber nicht groß - manche nur mit vier
Holzbaracken. Daneben waren noch Häuser für die Bewacher, die Küche und so
weiter. Im Lager beim Wasserwerk werden Sie das noch sehen, wir kommen da noch
hin. Mein Vater wußte alles noch ganz genau - hier ein Stück tiefer im Wald lag
irgendwo das ukrainische Lager, vielleicht waren dort aber Ungarn, also
ungarische Juden, ich weiß es nicht mehr genau.
Ich stand
auf, zwischen den Kiefern hinter uns schimmerte ein singulärer schiefer Pfeiler
aus den bekannten gelben Backsteinen. Davor zog sich eine sanft
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