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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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sonst kaum auffallenden Busen beschäftigen.
    Tanja
begeisterte mich noch aus einem weiteren Grund: Sie hatte pausenlos gute Laune,
lachte und kicherte bei jeder Gelegenheit, konnte sich nie satt lachen. Und sie
hatte eine unwiderstehlich sprechende Mimik. Ansonsten war sie ein anständiges
Mädchen, woran ihre Bereitschaft, sich als einzige von mehreren auf einmal
küssen und streicheln zu lassen, nichts ändern konnte. Sie war die erste, die
sich später - es war im zweiten Jahr ihrer Lehre - das Leben nahm. Die Russen
waren gerade einmarschiert, moralisch und kulturell zerfiel das Land im
Zeitraffertempo. Bald danach brachte sich Adela um, auch sie gehörte zu jenen,
die früher pausenlos etwas zu kichern hatten. In den siebziger Jahren wirkliche
Lust am Leben zu behalten - oder sogar die frühere gute Laune - war fast
unmöglich. Tanja konnte wegen ihrer nur mittelmäßigen Zensuren nicht studieren,
beim Theater kam sie - wie ihr Bruder in den sechziger Jahren - auch nicht
unter, und bei der Ausbildung zur Buchbinderin mußte sie den ganzen Tag in
einem schlechtbeleuchteten Kellerraum der Stadtbücherei arbeiten. Die Werkstatt
befand sich tief unter der Erde, und die Fenster waren schmal, so daß Tanja von
der Außenwelt nur vorbeieilende Füße zu sehen bekam. Daß ich Tanja in den Tod hätte
folgen können, kam mir damals noch nicht ausreichend verlockendvor. Und ich
bewegte mich in der Zeit, als sie sich mit Gas vergiftete, sowieso in ganz
anderen Kreisen. Tanjas Tod verdampfte seltsam weit von mir. Ich war inzwischen
ein Gymnasiast.
     
    dana
    Das große
Schleichen unserer beiden Körper zueinander war längst eingeläutet, trotzdem
kamen und kamen wir nicht von der Stelle - zwei Jahre lang. Welche der kleinen
Muskeln aus der Umgegend der Augen dafür zuständig sind, Bedürftigkeit zu
signalisieren, wußte ich damals nicht einmal ansatzweise, Danas trichterförmige
Blicke konnte ich aber ohne weiteres deuten, und sie waren kaum zu ertragen.
Besonders dann, wenn ich ihren naturgeprägten Körpergeruch in die Nase bekam.
Sie lebte in einem Bauernhaus und besaß viele Tiere - deswegen schleppte sie
immer ein für sie charakteristisches Humus-, Federvieh- und Pelztierduftgemisch
mit sich. Wir mußten uns beide ausgiebig quälen, bis unsere Vernunft eines
Tages endlich verbraucht war. In der Zwischenzeit hatte sich auch einiges um
uns herum geändert, und ich wurde etwas erwachsener - wenn auch unverändert
naiv wie dürr. Die Russen waren ins Land gekommen, um bei uns für immer zu
bleiben.
    Dana hatte
etwas wunderbar Zurückgenommenes. Für mich hatte ihre weibliche Unsicherheit
den Vorteil, daß ich mich bei ihr wie ein mutiger Tatmensch fühlen konnte, der
ich eigentlich nicht war. Ich mußte keine übermännliche Arbeit leisten. Dana
muß sexuell vollkommen ausgehungert gewesen sein, wenn auch anders als ich. In
unseren geschlechtlichen RBM-Phasen (soll heißen: rapid body movements) bekam
sie einen schlafwandlerischen Gesichtsausdruck. Ob sie dazu auch schon früher
geneigt hatte, wußte ich nicht. Sie darüber auszufragen war absolut unmöglich.
Ich bekam bei ihr regelmäßig das Gefühl, ihr Körper und ihr Kopf würden sich
zeitweilig voneinander verabschieden; eben dann, wenn ihre Erregung einen Grad
erreicht hatte, dem die intellektuelle Draufsicht nicht gewachsen war. Und
nicht unwichtig: Dana hatte damals schon graue Haare. Das gefiel mir ungemein -
alles, was vor uns lag, war so prächtig verboten. Ehrlich gesagt würde ich
jedem seine Dana wünschen. Dana war für mich greifbar nah und auf eine Weise
verfügbar, wie es andere weibliche Familienwesen normalerweise nicht sind. Später
hieß es, sie wäre von mir sexuell abhängig gewesen. Dabei war ich nichts
anderes als ein verzotteltes Bündel Gier.
    Auf
unserem Kippbettgestell für Besucher, das aus Halbzoll-Wasserrohren (Stahl,
verzinkt) und einem Türflügel zusammengebastelt war, mußte man heftige
Bewegungen unbedingt meiden. Wegen der dünnen Vorhänge war man auf diesem
Schlafplatz jedem, der den Flur betrat, praktisch ausgeliefert. Der Flur wurde
hier in den Zeiten der Belegung zwar nach Möglichkeit gemieden und
rücksichtsvoll über die Durchgangszimmer umgangen - allerdings nicht immer.
    - Erna hat
nachts so schlecht geschlafen, ich muß hier durch.
    Leider ist
Sex in völliger Erstarrung überhaupt nicht praktikabel. Der Rahmen des
Bettgestells machte zwar einen massiven Eindruck, da die Stahlrohre mit
gußeisernen Verbindungsstücken

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