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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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man über das große Herz von Dana in allen umliegenden Dörfern Bescheid,
und die Leute brachten immer neue lahme Kreaturen vorbei. Jeder rechnete damit,
Dana würde nicht nein sagen können. So wurde sie auch zu Rettungsaktionen für
verunglückte Schwäne oder angeschossene Hasen gerufen und kam oft gar nicht zum
Arbeiten.Daß es in Danas Haus etwas stank, versteht sich von selbst. Und daß
Dana aus Geldmangel nicht viel heizen konnte und deswegen auch wenig lüftete,
machte die Geruchssituation nicht besser. Ich gewöhnte mich daran. Die
offensichtliche Verkeimung der Räume würde mich wenigstens, dachte ich damals,
gegen alle möglichen Krankheiten immun machen. Über die Gefahren der möglichen
Virenmutationen wußten wir damals noch nichts. In der Dunkelheit entwischte ab
und zu ein Feder- oder Pelztier aus seiner Behausung, wuselte unterm Bett oder
hing in den Vorhängen. Der Fußboden im Haus war undefinierbar dreckig, und Dana
hatte es irgendwann aufgegeben, ihn sauberzuhalten. Von ihr lernte ich wenigstens,
daß man auch mit dreckigen Füßen ins Bett gehen kann - man zieht sich einfach
saubere Socken über.
    Dana hatte
sich bei ihrer Bildhauerei früher auf wild zusammengeschweißte Drahtgebilde
spezialisiert, deren Sockel sie mit Beton ausgoß oder mit Steinen beschwerte,
und nachdem sie alle Hohlräume mit Schaumstoff ausgefüllt hatte, bewarf und
bepackte sie diese Innereien mit einem Gemisch aus Holzwolle, Gips, Zement und
Wasser. Wenn sie keine Holzwolle mehr hatte, nahm sie einfach Stroh. Ihr Hof
war übersät mit Ungetümen und Gestalten aus unterschiedlichen Zeiten. Es waren
ihre - wie sie meinte - verblassenden Beweise, daß sie früher etwas mehr
Ehrgeiz besessen hatte. Viele ihrer Weißlinge alterten dort bereits seit
Jahren.
    - Ich
drücke mich vor der Arbeit ganz gern. Die Tiere sollen mich im Grunde stören.
    Wind und
Wetter setzten Danas Statuen und Plastiken alljährlich brutal zu, besonders
während des Winters, und sie entwickelten ihr Eigenleben. Die Gipsschicht quoll
auf, bröckelte und blätterte ab. Das gefiel Dana so sehr, daß sie im Winter,
wenn es zu wenig geregnet oder geschneit hatte.mit Wasser nachhalf. Sie wollte
die Zerstörungsarbeit der frierenden Feuchtigkeit im Frühjahr unbedingt sehen.
Es sollten sich neue Risse bilden, die Körper sollten nach und nach lose Teile
abstoßen - aus eigener Kraft eben. Ausstellen durfte Dana sowieso nicht. Bald
setzten ihre Ungetüme auch Moos an, die ersten Samen blieben an ihnen haften
und gingen auf, ihre gipsernen Steher wurden immer grüner. Ihr Alter konnte man
irgendwann an ihrer Verunkrautung ablesen. Die ganz frühen Arbeiten von Dana
waren noch figürlich. Dana mochte sie nicht mehr und meinte, sie gehörten ihr
gar nicht mehr.
    - Ich habe
ihnen längst ihre Freiheit wiedergegeben. Sie sind so etwas wie entlassene Sklaven
und können tun, was sie wollen.
    Man könne
an ihren Männern, Frauen, Greisen und Kindern beobachten, meinte Dana, daß
manche von ihnen im Alter ausgesprochen weise würden. Damit spielte sie auf die
Gelassenheit derer an, die bereits nur aus ihren schaumig bedrahteten Innereien
bestanden und trotzdem nicht klagten. Als Dana bei der Begrünung einmal
nachhelfen wollte und die älteren Statuen, die sie am wenigsten mochte, mit
Erde bewarf, kam ihr ein neuer Einfall: Sie bepackte die Figuren, wo es ging, gezielt
mit Muttererde und bepflanzte sie mit Hauswurz.
    - Lebt
weiter und laßt mich in Ruhe, sagte sie ihnen regelmäßig in der irrigen
Hoffnung, sie würden sich eines Tages doch auf den Weg machen - oberirdisch zum
Horizont oder senkrecht nach unten.
    - Vivite
semper! verwandelte sie später die Ansprache an ihre Verwesungskrieger.
    Hauswurz
gehört, wie ich in dem Zusammenhang erfuhr, zur Gattung der Semperviva. Weil
Dana ihren Gipsmonsterbau doch nicht ganz aufgeben wollte, war der Hof
irgendwann so gut wie voll. Danas abstrakte Plastiken aus späteren Jahren waren
noch größer und schwerer als diealten und konnten mit den bescheidenen Mitteln
von Danas Freunden kaum bewegt, geschweige denn über die Feldwege transportiert
werden. Diese Neuzuwächse waren außerdem feiner gegliedert und hatten viele
Engstellen, in denen sie hätten brechen können. Und vor allem knisterten sie
vor unbewußter Materialverspannung, meinte Dana.
    - Sie
stören mich schon in ihrer Grundidee, so geht das nicht weiter.
    Eines
Tages kam ihr die ideale Entrümpelungsidee, die auch ihrer laufenden
Tierkundschaft mehr Freiraum

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