Falaysia - Fremde Welt - Band III: Piladoma (German Edition)
hatte sie noch mehr Selbstbewusstsein gewonnen und die Methoden, um ihr inneres Gleichgewicht zu halten, perfektioniert. Heute gab es nur noch wenige Menschen, die sie derart provozieren konnten, dass sie zur unkontrollierten Furie wurde und nicht mehr wusste, was sie tat. Marek war eine davon und sie hasste ihn für das, was er ihr angetan hatte.
Gut, Hass war vielleicht ein zu scharfes Wort. Sie hatte anfangs geglaubt, dass es genau das war, was sie nun für immer für ihn empfinden würde, doch schnell gespürt, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Auch wenn sie es nur ungern zugab – in gewisser Weise war es ihre eigene Schuld, dass sie das Amulett nun nicht mehr besaß. Sie bereute nicht, Mareks Wunden damit geheilt, sondern sich selbst mal wieder nicht unter Kontrolle gehabt zu haben. Sie hatte sich durch ihre Neugierde und ihr starkes Bedürfnis hinter Mareks Geheimnisse zu kommen völlig verausgabt. Nur deswegen hatte sie bei der nochmaligen Nutzung der Kräfte des Steins nicht wach bleiben und den Stein nach getaner Arbeit nicht wieder verstecken können, hatte nicht gemerkt, wie Marek wach geworden war und das Amulett an sich genommen hatte – jedenfalls nicht rechtzeitig.
Sie wollte sein Handeln damit nicht entschuldigen, kam jedoch auch nicht darum herum, ihren eigenen Anteil an der Misere, in die sie geraten war, zu sehen. Dennoch wusste sie nicht, ob sie ihm sein Handeln jemals würde verzeihen können. Allein darüber nachzudenken tat weh, wühlte ihre Gefühle vom Neuen auf und machte es ihr schwer, ihre Maske der kühlen Gelassenheit aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund versuchte sie auch, während sie weiter in dem immer gebirgiger werdenden Wald herumkletterten, nicht über Mareks Vergehen nachzudenken, sondern eher über das, was sie aus seiner Vergangenheit erfahren, was sie in der intensiven Verbindung zu seinem Geist und Körper gefühlt hatte.
Seit Jenna wusste, dass Marek ebenfalls aus ihrer Welt kam, hatte sie schon viele Male darüber nachgedacht, wer er tatsächlich war, wie er nach Falaysia gekommen war und warum. Sie hatte versucht sich vorzustellen, wie er als Kind gewesen, in ihrer Welt zur Schule gegangen war, mit anderen Kindern seines Alters gespielt hatte, aber ihr war das nie so richtig gelungen. Sie hatte ihn nie aus dieser mittelalterlichen Welt lösen können, ihn immer als den Sohn eines stolzen Kriegers vor Augen gehabt. Nun hatte sich das geändert. Er hatte jetzt eine Mutter … und eine furchtbare Vergangenheit.
Jenna biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte kein Mitgefühl für ihn empfinden. Das hatte er nicht verdient. Doch leider war es sofort da, wurde mit den Bildern, die sie nicht vergessen konnte, herangetragen und nistete sich in ihrem Herzen ein. Jenna konnte sich noch genau daran erinnern, wie es für sie gewesen war, ihre Mutter zu verlieren, und sie war damals sehr viel älter als er gewesen, hatte ihre Mutter nicht so plötzlich und brutal verloren. Was für ein Trauma!
Sie unterdrückte ein leises Seufzen und sah hinüber zu dem Krieger, der wie gewöhnlich vor ihr lief, sein Pferd, so wie sie, wegen des recht unwegsamen Geländes am Zügel führend. Er bewegte sich wieder ganz wie früher: geschmeidig, locker, ohne jedes Anzeichen von Erschöpfung oder Schmerz. Sie selbst schnaufte dagegen wie eine Lokomotive und wünschte sich nichts sehnlichster herbei als eine Pause. Ihre Waden und Oberschenkel schmerzten bereits schrecklich, weil sie sich fast nur nach oben bewegten und ihr Kleid klebte an ihrem Rücken und ihrer Brust wie eine zweite Haut, wärmte die leichte Fellweste, die sie trug, sie doch ein wenig zu sehr.
Das Klima in diesem Teil des Waldes war erstaunlich moderat, beinahe schwül-warm. Doch sie war weit davon entfernt, sich zu beschweren und herum zu jammern, geschweige denn Marek darum zu bitten, eine Pause einzulegen. Vor ihm würde sie bestimmt keine Schwäche mehr zeigen. Ihre kalte Schulter – die hatte er verdient, und die bekam er auch, immer wenn er sich nach ihr umsah, mit diesem prüfenden Blick, den sie noch weniger ausstehen konnte als seine Schweigsamkeit.
Seit es ihm wieder gut ging, blickte er sich sehr viel öfter nach ihr um als zuvor und ab und an meinte Jenna sogar einen Funken von Reue oder gar versteckter Scham in seinen Augen aufglühen gesehen zu haben. Vielleicht wünschte sie sich das aber auch nur, schließlich hielt er ihren Blick selten lange genug, um auch nur irgendeine Emotion in seinen Augen entdecken
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