Falken: Roman (German Edition)
kämpfen«, sagt Edward. »Wenn die Boleyns niedergehen, reißen sie uns mit sich mit. Ich habe von Schlangen gehört, die noch im Todeskampf Gift durch die Haut absondern.«
»Haben Sie je eine Schlange in der Hand gehalten?«, fragt er. »Ich schon, in Italien.« Er öffnet die Hände vor sich. »Zu sehen ist davon nichts.«
»Dann müssen wir sehr verschwiegen sein«, sagt Edward. »Anne darf nichts davon erfahren.«
»Nun«, sagt er trocken, »ich denke nicht, dass wir es ihr auf ewig verheimlichen können.«
Bald schon wird sie es erfahren, wenn seine neuen Freunde nicht aufhören, ihm in seinen Vorzimmern aufzulauern, ihm den Weg zu verstellen und sich vor ihm zu verbeugen. Wenn das Flüstern, das Brauenheben und gegenseitige Sich-Anstoßen nicht aufhört.
Er sagt zu Edward: Ich muss nach Hause, die Tür hinter mir schließen und überlegen. Die Königin plant etwas, ich weiß nicht, was, aber es muss etwas Hinterhältiges sein, etwas Finsteres, vielleicht so finster, dass sie selbst noch nicht weiß, was es ist, und bisher nur davon träumt: Ich muss schnell sein, muss für sie träumen. Es Wirklichkeit werden lassen.
Laut Lady Rochford beschwert sich Anne, dass Henry sie, seit sie sich vom Kindbett erhoben hat, ständig beobachtet, und das nicht so wie früher.
Lange Zeit hat er verfolgt, wie Harry Norris die Königin beobachtet, und leicht von oben, wie ein geschnitzter Falke über einem Türstock, sich selbst dabei beobachtet, wie er Harry Norris beobachtet.
Im Moment noch scheint Anne die Flügel nicht wahrzunehmen, die über ihr schlagen, und auch die Augen nicht, die ihren Pfad studieren, während sie ausweicht und plötzliche Schlenker macht. Sie schwatzt über ihre Tochter Elizabeth und hält ein winziges Mützchen in die Höhe, mit hübschen Bändern, das gerade frisch bestickt wurde.
Henry sieht sie ausdruckslos an, als wollte er sagen: Warum zeigst du mir das, was hat das mit mir zu tun?
Anne streichelt das Stückchen Seide. Er verspürt einen Stich, Mitleid, einen Moment des Bedauerns. Er betrachtet die feine Seidenlitze, die den Ärmel der Königin säumt. Eine Frau mit dem Geschick seiner toten Frau hat die gemacht. Er sieht die Königin an, hat das Gefühl, sie zu kennen, wie eine Mutter ihr Kind kennt oder ein Kind seine Mutter. Er kennt jeden Stich ihres Mieders. Er sieht das Heben und Senken jedes Atemzugs. Was geht in Ihrem Herzen vor, Madam? Das ist die letzte Tür, die noch zu öffnen ist. Jetzt steht er auf der Schwelle, hält den Schlüssel in der Hand und hat fast so etwas wie Angst, ihn ins Schloss zu stecken. Denn was, wenn er … was, wenn er nicht passt, und er muss herumtun und mit Henrys Blick auf sich das ungeduldige Klacken der königlichen Zunge hören, wie es sicher auch Master Wolsey gehört hat?
Nun, dann … Bei einer Gelegenheit – in Brügge, oder? –, da hat er eine Tür eingetreten. Das war eigentlich nicht seine Art, aber er hatte einen Kunden, der Ergebnisse wollte, und er wollte sie gleich. Schlösser lassen sich knacken, doch das erfordert Geschick und kostet Zeit. Geschick und Zeit brauchst du nicht, wenn du eine Schulter und einen Stiefel hast. Damals war ich dreißig, denkt er. Ein junger Kerl. Gedankenverloren reibt er sich die linke Schulter, den Unterarm und erinnert sich an seine blauen Flecken. Er stellt sich vor, wie er in Anne eindringt, nicht als Liebhaber, sondern als Anwalt, in den Händen hält er seine Papiere, seine Schriftsätze. Er stellt sich vor, wie er bis ins Herz der Königin vordringt. In seinen Kammern hört er das Klacken der eigenen Stiefelabsätze.
Zu Hause nimmt er das Stundenbuch aus der Truhe, das einmal seiner Frau gehört hat. Sie hatte es von ihrem ersten Mann, Tom Williams, geschenkt bekommen, einem guten Kerl, aber nicht mit der Substanz, wie er sie hat. Wann immer er heute an Tom Williams denkt, sieht er einen nichtssagenden, gesichtslosen Bediensteten in der cromwellschen Livree vor sich, der ihm den Mantel oder vielleicht sein Pferd hält. Jetzt, da er nach Belieben die besten Texte aus der königlichen Bibliothek lesen kann, scheint ein Gebetbuch ein ärmliches Ding. Wo ist der Goldschnitt? Und doch findet sich Elizabeths Wesen in diesem Buch, seine arme Frau mit ihrer weißen Haube, ihrer unverblümten Art, dem schiefen Lächeln und den so geschäftigen wie geschickten Händen. Einmal hatte er ihr zugesehen, wie sie eine Seidenlitze machte. Ein Ende war an der Wand befestigt, und um die Finger ihrer erhobenen
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