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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Cromwell und seinen Plänen fernhalten. Es besteht eine Atmosphäre der Angst, und er hat sie geschaffen. Niemand weiß, wie lange es noch mit den Verhaftungen weitergehen und wen es treffen wird. Er hat das Gefühl, dass er es selbst nicht weiß, dabei hält er die Fäden in der Hand. George Boleyn ist bereits im Tower untergebracht. Weston und Brereton ist noch eine letzte Nacht Schlaf in der Welt erlaubt, eine letzte Frist, um ihre Geschäfte zu ordnen. Morgen um diese Zeit sitzen sie hinter Schloss und Riegel: Sie könnten fliehen, aber wohin? Keiner der Männer, bis auf Mark, ist richtig verhört worden: das heißt, von ihm verhört. Aber der Kampf um die Beute hat bereits begonnen. Norris war kaum einen Tag in Gewahrsam, als bereits der erste Brief kam, in dem sich jemand um seine Ämter und Privilegien bewarb, ein Mann, der geltend machte, vierzehn Kinder zu haben. Vierzehn hungrige Mäuler: ganz zu schweigen von den eigenen Bedürfnissen des Mannes und den zuschnappenden Zähnen der ihm angetrauten Lady.
    Am nächsten Tag, in der Frühe, sagt er zu William Fitzwilliam: »Kommen Sie mit mir in den Tower, um mit Norris zu reden.«
    Fitz sagt: »Nein, gehen Sie allein. Ein zweites Mal schaffe ich das nicht. Ich kenne Norris mein ganzes Leben. Das erste Mal hat mich schon fast umgebracht.«
    Der sanftmütige Norris: Hauptarschwischer des Königs, Spinner von Seidenfäden, Spinne der Spinnen, das schwarze Zentrum des mächtigen, tropfenden Netzes höfischer Vetternwirtschaft: was für ein agiler, liebenswürdiger Kerl er doch ist; jenseits der Vierzig, doch das nimmt er leicht. Norris ist ein Mann, der sich stets im Gleichgewicht befindet, ein lebendes Beispiel für die Kunst der sprezzatura . Niemand hat ihn je aufgewühlt erlebt. Er hat das Auftreten eines Mannes, der seinen Erfolg nicht erlangt, sondern sich damit abgefunden hat. Er ist zu einer Küchenmagd so höflich wie zu einem Herzog, wenigstens solange es ein Publikum gibt. Als Meister in der Turnierarena bricht er seine Lanze mit einem Ausdruck der Entschuldigung auf dem Gesicht, und wenn er die Münzen des Reiches zählt, wäscht er sich hinterher die Hände in mit Rosenblütenblättern parfümiertem Quellwasser.
    Dennoch ist Harry reich geworden, wie um den König herum nun mal alle reich werden, so wenig sie sich auch bemühen. Wenn Harry eine Vergünstigung einstreicht, ist es, als ob er, der gehorsame Diener, etwas Geschmackloses aus deinem Blick entfernt, und wenn er freiwillig ein profitables Amt übernimmt, erweckt er den Eindruck, es aus reinem Pflichtgefühl heraus zu tun und um unbedeutenderen Männern die Arbeit zu ersparen.
    Aber seht euch den sanftmütigen Norris jetzt an! Es ist traurig, einen starken Mann weinen zu sehen. Das sagt er, als er sich setzt, und erkundigt sich nach der Behandlung: ob Norris Essen bekommen hat, das er mag, und wie er geschlafen hat. Er gibt sich freundlich und ungezwungen. »Während der Weihnachtstage, Master Norris, haben Sie einen Mohren gespielt, und William Brereton hat sich halb nackt im Kostüm eines Jägers oder wilden Mannes aus dem Wald gezeigt, auf dem Weg zum Gemach der Königin.«
    »Himmel noch mal, Cromwell«, schnieft Norris. »Meinen Sie das wirklich ernst? Fragen Sie mich allen Ernstes danach, was wir in unseren Verkleidungen gemacht haben?«
    »Ich riet ihm, William Brereton, davon ab, seinen Körper so zu zeigen. Ihre Antwort war, dass die Königin ihn schon oft gesehen habe.«
    Norris wird rot: wie er es in der fraglichen Situation wurde. »Sie missverstehen mich mit Absicht. Sie wissen, dass ich meinte, sie ist eine verheiratete Frau, und deshalb ist ihr … ist ihr die Ausstattung eines Mannes nicht unbekannt.«
    »Sie wissen, was Sie meinten. Ich weiß nur, was Sie gesagt haben. Sie müssen zugeben, solch eine Bemerkung würde in den Ohren des Königs nicht unschuldig klingen. Bei der gleichen Gelegenheit, als wir uns unterhaltend dastanden, sahen wir auch den verkleideten Francis Weston, und Sie bemerkten, er sei ebenfalls auf dem Weg zur Königin.«
    »Wenigstens war er nicht nackt«, sagt Norris. »Er trug ein Drachenkostüm, oder?«
    »Er war nicht nackt, da stimme ich Ihnen zu. Aber was haben Sie gleich darauf gesagt? Sie haben mir vom Hingezogensein der Königin zu ihm erzählt. Sie waren eifersüchtig, Harry, und Sie haben es nicht geleugnet. Sagen Sie mir, was Sie gegen Weston aussagen können. Dann wird es für Sie leichter.«
    Norris nimmt sich zusammen und putzt sich die Nase.

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