Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
missbilligendes Zischen zu hören. George blickt auf. Er streckt die Arme vor. »Das sind nicht meine Worte. Das habe ich nie gesagt.«
    Aber jetzt hat er es gesagt und mit seiner Dreistigkeit – um den Applaus der Menge buhlend – die Thronfolge angefochten und die Erben des Königs herabgesetzt: obwohl er gewarnt wurde, es nicht zu tun. Er, Cromwell, nickt. »Wir haben gehört, dass Sie das Gerücht verbreiten, Prinzessin Elizabeth sei nicht das Kind des Königs. Sie scheinen es tatsächlich zu tun. Sie tun es sogar hier vor Gericht.«
    George schweigt.
    Er zuckt mit den Schultern und wendet sich ab. Es ist hart für George, dass er, was ihm vorgeworfen wird, nicht einmal aussprechen kann, ohne sich schuldig zu machen. Als Ankläger hätte er, Cromwell, es lieber gehabt, wenn die Schwierigkeiten des Königs nicht hätten genannt werden müssen. Wobei es keine größere Schande für Henry ist, wenn vor Gericht darüber gesprochen wird, als wenn sie auf der Straße davon reden und in den Kneipen die Ballade von König Kleinschwanz und seiner Frau, der Hexe, singen. Unter solchen Umständen gibt der Mann meist der Frau die Schuld. Weil sie etwas getan hat, etwas gesagt hat, wegen des schwarzen Blicks, mit dem sie ihn angesehen hat, als er schwächelte, wegen des verächtlichen Ausdrucks auf ihrem Gesicht. Henry hat Angst vor Anne, denkt er. Bei seiner neuen Frau wird er seine Potenz zurückerlangen.
    Er sammelt sich, legt seine Papiere zusammen. Die Richter wollen sich besprechen. Die Anklage gegen George steht auf wackeligen Füßen. Sollte sie niedergeschlagen werden, wird Henry ihn wegen etwas anderem vor Gericht bringen, und dann wird es auch für seine Familie ernst, nicht nur für die Boleyns, sondern auch für die Howards: Aus diesem Grund, denkt er, wird Onkel Norfolk ihn nicht entkommen lassen. Und niemand hat die Anklage als unglaubwürdig angegriffen, weder bei diesem Prozess noch bei seinen Vorgängern. Es ist zu etwas geworden, was man glauben kann: dass diese Männer ein Komplott gegen den König geschmiedet und mit der Königin kopuliert haben. Weston aus Rücksichtslosigkeit; Brereton, weil er ein alter Sünder ist; Mark aus Ehrgeiz; Henry Norris aus seiner Nähe und Vertrautheit heraus: weil er sich mit der Person des Königs verwechselt hat; und George Boleyn nicht obwohl, sondern weil er ihr Bruder ist. Die Boleyns, das weiß man, tun alles, um zu regieren, und wenn Anne Boleyn sich selbst auf den Thron gebracht hat und dabei über Leichen gegangen ist, kann sie dann nicht auch einen boleynschen Bastard daraufsetzen wollen?
    Er blickt zu Norfolk hinauf, der ihm zunickt. Das Urteil steht also nicht infrage, und auch die Bestrafung nicht. Die einzige Überraschung ist Harry Percy. Der Earl steht von seinem Platz auf. Mit leicht offenem Mund steht er da, Stille breitet sich aus, nicht die raschelnde, von Flüstern erfüllte vorgebliche Stille, die das Gericht bis jetzt erdulden musste, sondern ein unbewegtes, erwartungsvolles Schweigen. Er denkt an Gregory: Willst du mich eine Rede halten hören? Dann fällt der Earl nach vorn, lässt ein Stöhnen hören, verliert allen Halt und schlägt mit einem Scheppern und einem dumpfen Schlag auf den Boden. Sofort wird sein daliegender Körper von Wachen umringt, und lautes Rufen hebt an: »Harry Percy ist tot.«
    Das ist unwahrscheinlich, denkt er. Die bringen ihn wieder auf die Beine. Der Nachmittag ist bereits fortgeschritten, es ist warm und stickig, und die Beweise, die vor den Richtern ausgebreitet wurden, allein schon die schriftlichen Aussagen, könnten auch einen gesunden Mann umwerfen. Über die Bretter der Plattform, auf der die Richter sitzen, ist ein blaues Tuch gebreitet, und er verfolgt, wie die Wachen es vom Boden reißen und eine Decke daraus falten, um den Earl damit hinauszutragen. Eine Erinnerung steigt in ihm auf, Italien, Hitze, Blut: wie sie einen sterbenden Mann auf zusammengeknotete Satteldecken hieven, rollen, packen, Decken von Toten, auf denen sie ihn in den Schatten einer Mauer – wovon? einer Kirche, eines Bauernhauses? – schleppen, nur damit er dort sterben kann, fluchend, ein paar Minuten später schon, aber erst noch versuchte er sich die Innereien, die aus der Wunde quollen, zurück in den Leib zu stopfen, als wollte er die Welt sauber und ordentlich verlassen.
    Ihm ist schlecht, und er setzt sich zum Kronanwalt. Die Wachen tragen den Earl hinaus. Percys Kopf schlägt hin und her, die Augen sind geschlossen, die Beine

Weitere Kostenlose Bücher