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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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erreichen.« Er zuckt mit den Schultern. »Sie reitet hin. Chapuys reitet hin. Und Stephen Vaughn wird auf beide ein Auge haben. Kommst du morgen früh? Bring Helen und ihre Töchter mit. Nicht das Baby, dazu ist es zu kalt. Wir werden eine Fanfare hören, sagt Gregory, und den päpstlichen Hof dem Erdboden gleichmachen.«
    »Sie mochte die Flügel sehr«, sagt Rafe. »Unsere kleine Tochter. Sie möchte wissen, ob sie sie im nächsten Jahr auch wieder tragen darf.«
    »Ich wüsste nichts, was dagegenspräche. Bis Gregory eine Tochter hat, die groß genug ist.«
    Sie umarmen sich. »Versuchen Sie zu schlafen, Sir.«
    Er weiß, dass ihm Brandons Worte im Kopf herumgehen werden, sobald er ihn aufs Kissen bettet. »Geschäfte zwischen Staaten sind zu groß für Sie. Sie taugen nicht dazu, mit Fürsten zu reden.« Es nützt nichts, Herzog Fettpfanne Rache zu schwören. Brandon wird sich selbst zu Fall bringen, diesmal vielleicht endgültig, wenn er in Greenwich herumbrüllt, dass Henry ein Hahnrei ist. Selbst so ein alter Günstling kann damit am Ende doch nicht durchkommen?
    Im Übrigen hat Brandon recht. Ein Herzog kann seinen Master am Hof eines ausländischen Königs vertreten. Oder ein Kardinal, auch von niederer Abstammung wie Wolsey, sein Kirchenamt befähigt ihn dazu. Ein Bischof wie Gardiner, mag er auch von zweifelhafter Herkunft sein, aber durch sein Amt ist er Stephen Winchester, der Inhaber von Englands reichster Diözese. Cremuel jedoch bleibt ein Niemand. Der König gibt ihm Titel, die keiner im Ausland versteht, und Aufgaben, die hierzulande keiner sonst zu erledigen vermag. Die Aufgaben vervielfältigen sich, die Pflichten häufen sich: Der einfache Master Cromwell bricht frühmorgens auf und kehrt spätabends als einfacher Master Cromwell zurück. Henry hatte ihm das Amt des Lordkanzlers angeboten. Nein, verstören Sie Lord Audley nicht, hat er geantwortet. Audley tut seine Arbeit. Audley tut, was man ihm sagt. Vielleicht hätte er dennoch zustimmen sollen? Der Gedanke, die Kette zu tragen, lässt ihn aufseufzen. Du kannst doch sicher nicht gleichzeitig Lordkanzler und Master Sekretär sein? Und den Posten des Sekretärs will er nicht aufgeben. Es macht nichts, wenn er dadurch einen niedrigeren Status hat. Es macht nichts, wenn die Franzosen das nicht begreifen. Sollen sie nach den Ergebnissen urteilen. Brandon kann Krawall veranstalten, ungerügt, unter den Augen des Königs. Er kann ihm auf die Schulter schlagen und ihn Harry nennen. Er kann mit ihm über alte Witze und Turnierplatzgeschichten lachen. Aber die Tage des Rittertums sind vorüber. Bald schon wird Moos den Turnierplatz bedecken. Die Tage der Geldverleiher sind angebrochen, die Tage der dahinstolzierenden Freibeuter. Bankier setzt sich mit Bankier zusammen, und die Könige sind ihre Laufjungen.
    Zuletzt öffnet er den Fensterladen, um dem Papst Gute Nacht zu sagen. Er hörte ein Tropfen von der Dachtraufe über sich und ein tiefes Stöhnen: Schnee rutscht über die Ziegel, fällt wie ein sauberes weißes Tuch nach unten und versperrt ihm eine Sekunde lang den Blick. Seine Augen folgen dem Schnee, der mit einem kleinen Schnauben wie weißer Rauch auf den festgetretenen Matsch der Erde trifft. Er hatte recht, was den Wind auf dem Fluss anging. Er zieht den Fensterladen wieder heran. Das Tauwetter hat begonnen, und der große Verderber der Seelen bleibt mit seinem Konklave tropfend im Dunkeln zurück.
    Zu Neujahr besucht er Rafe in dessen neuem Haus in Hackney, drei Stockwerke aus Ziegeln und Glas neben der Kirche St.   Augustine. Bei seinem ersten Besuch am Ende des Sommers hat er alles am Platz gesehen für Rafes glückliches Leben: Blumentöpfe mit Basilikum auf der Küchenfensterbank, eingesäte Gartenbeete und Bienenstöcke, Taubenschläge und Rosengitter. Die mit blassem Eichenholz vertäfelten Wände schimmerten in Erwartung von Farbe.
    Jetzt ist alles fertig eingerichtet, eingebettet, und an den Wänden leuchten Szenen des Evangeliums: Christus als Menschenfischer, ein überraschter Diener, der in Kanaan den guten Wein probiert. In einem der oberen Räume, in den man über eine steile Treppe im Salon gelangt, liest Helen Tyndales Evangelium, während ihre Mädge nähen: »… aus Gnade seid ihr selig geworden.« Der heilige Paulus mag es nicht ertragen, wenn eine Frau die heilige Schrift lehrt, aber das tut sie auch nicht wirklich. Helen hat die Armut ihres früheren Lebens hinter sich gelassen. Der Ehemann, der sie geschlagen hat,

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