Falken: Roman (German Edition)
ist tot oder doch so weit weg, dass wir ihn als tot betrachten. Sie kann die Frau Sadlers werden, eines aufstrebenden Mannes im Dienste Henrys, sie kann eine ruhige Gastgeberin werden, eine gelehrte Frau, aber sie kann ihre Geschichte nicht abstreifen. Eines Tages wird der König sagen: »Sadler, warum bringen Sie Ihre Frau nicht mit an den Hof, ist sie hässlich?«
Er wird ihn unterbrechen: »Nein, Sir, sehr schön.« Und Rafe wird hinzufügen: »Helen ist von einfacher Abstammung und kennt die Umgangsformen bei Hofe nicht.«
»Warum haben Sie sie geheiratet?«, wird Henry wissen wollen, und schon wird sein Ausdruck sanfter. »Ah, ich verstehe, aus Liebe.«
Helen nimmt seine Hand und wünscht ihm ein Fortdauern seines Wohlergehens. »Ich bete jeden Tag für Sie. Als Sie mich in Ihr Haus aufgenommen haben, begann mein Glück. Ich bete, dass Gott Ihnen Gesundheit schenkt, Zufriedenheit und das geneigte Ohr des Königs.«
Es küsst sie und drückt sie an sich, als wäre sie seine Tochter. Sein Patensohn brüllt nebenan.
Am Dreikönigsabend wird der letzte Marzipanmond gegessen. Der Stern mit seinen tückischen Spitzen wird heruntergeholt – Anthony überwacht alles – und in ein Tuch gehüllt. Vorsichtig tragen sie ihn in den Lagerraum. Die Pfauenflügel seufzen in ihrem Totenhemd aus Leinen und werden an ihren Nagel hinter der Tür gehängt.
Von Vaughn kommen Berichte, dass es der alten Königin besser geht. Chapuys denkt, es geht ihr gut genug, dass er sich auf den Weg zurück nach London machen kann. Er fand sie so geschwächt vor, dass sie sich nicht aufzusetzen vermochte, doch jetzt isst sie wieder und findet Trost in der Gesellschaft ihrer Freundin Maria de Salinas. Ihre Kerkermeister waren gezwungen, die Lady hereinzulassen, nachdem sie direkt vor den Mauern einen Unfall erlitten hatte.
Später wird er, Cromwell, jedoch hören, dass Katherine am Abend des sechsten Januar – genau zu der Zeit, denkt er, da wir den Weihnachtsschmuck weggeräumt haben – rastlos wurde. Sie spürte, wie die Kräfte sie verließen, und nachts bat sie ihren Kaplan um die Kommunion. Ängstlich fragte sie ihn: Wie viel Uhr ist es jetzt? Noch keine vier, antwortete er, aber wenn es dringend ist, kann die Gebetszeit auch vorverlegt werden. Katherine wartet, ihre Lippen bewegen sich, in der Hand hält sie eine heilige Medaille.
Sie wird an diesem Tag sterben, sagt sie. Sie hat den Tod studiert, hat sein Eintreten viele Male durchgespielt und scheut nicht vor ihm zurück. Sie diktiert ihre Wünsche bezüglich ihres Begräbnisses, ohne zu erwarten, dass sie erfüllt werden. Sie bittet, Dienerschaft und Gefolge auszuzahlen und ihre Schulden zu begleichen.
Um acht Uhr morgens gibt ihr ein Priester die letzte Ölung, berührt ihre Lider und Lippen, Hände und Füße mit dem heiligen Öl. Diese Lider werden sich nun schließen und nicht wieder öffnen, sie wird nichts mehr wahrnehmen. Die Lippen haben ihr Beten beendet, die Füße ihre Reise. Die Hände werden keine Dokumente mehr unterzeichnen. Mittags geht ihr Atem nur mehr rasselnd, sie kämpft auf das Ende zu. Um zwei wird ihr Gemach vom Licht der schneebedeckten Felder draußen erhellt, und sie scheidet aus dem Leben. Als sie den letzten Atemzug nimmt, ziehen sich die düsteren Silhouetten ihrer Betreuerinnen um sie zusammen. Es widerstrebt ihnen, den betagten Kaplan und die alten Frauen zu stören, die bei ihrem Bett wachen. Noch bevor sie die Tote gewaschen haben, schickt Bedingfield den schnellsten Reiter auf die Straße.
Achter Januar: Die Nachricht erreicht den Hof, dringt aus den Gemächern des Königs, verbreitet sich die Treppen hinauf zu den Zimmern von Annes Zofen, die sich gerade ankleiden, in die Ecken, in denen die Küchenjungen dösend hocken, über Wege und Durchgänge zu den Brauereien und Kühlräumen für den Fisch, zurück durch den Park zu den Galerien und Emporen und hinauf zu den mit Teppichen ausgelegten Gemächern, wo Anne Boleyn auf die Knie sinkt und sagt: »Endlich, Gott, das wurde auch langsam Zeit!« Die Musiker stimmen ihre Instrumente für die Feierlichkeiten.
Anne, die Königin, trägt Gelb wie bei ihrem ersten Erscheinen bei Hofe im Jahr 1521, als Tänzerin bei einem Maskenspiel. Alle erinnern sich daran, oder behaupten es zumindest: an Boleyns zweite Tochter mit ihren ausdrucksvollen dunklen Augen, ihrer Schnelligkeit, ihrer Anmut. Gelb war unter den Wohlhabenden Basels zur Mode geworden und hatte sich von dort ausgebreitet. Ein paar
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