Falken: Roman (German Edition)
Monate lang konnte ein Händler, der an genügend gelbe Stoffe kam, ein Vermögen verdienen. Und plötzlich war es überall: Ärmel waren gelb, Strumpfwaren, und die, die sich nicht mehr leisten konnten, trugen zumindest ein gelbes Haarband. Zur Zeit von Annes Debüt war das Gelb im Ausland bereits auf dem Abstieg: Im Kaiserreich hättest du nur mehr Frauen in Bordellen gesehen, die ihre fetten Zitzen anhoben und sich in enge, gelbe Mieder schnürten.
Weiß Anne das? Ihr Kleid heute ist fünfmal so viel wert wie jenes, das sie trug, als ihr Vater ihr einziger Bankier war. Es ist über und über mit Perlen bestickt, sodass sie sich in einem verschwommen blassgelben Licht bewegt. Er fragt Lady Rochford: Nennen wir es eine neue Farbe oder die Wiederkehr einer alten? Werden Sie sie auch tragen, Mylady?
Sie sagt: Meiner Meinung nach passt sie zu keinem Teint. Anne sollte bei Schwarz bleiben.
Zur Feier des Tages will Henry die Prinzessin vorführen. Man sollte meinen, dass ein so kleines Mädchen – sie ist jetzt knapp zweieinhalb – nach ihrer Kinderfrau rufen würde, aber Elizabeth gluckst nur, als sie von den Gentlemen herumgereicht wird, fährt ihnen durch die Bärte und schlägt nach ihren Hüten. Ihr Vater lässt sie auf seinem Arm auf und ab wippen. »Sie freut sich schon darauf, ihren kleinen Bruder zu sehen, stimmt’s, mein Dickerchen?«
Unter den Höflingen wird ein Raunen hörbar. Ganz Europa weiß von Annes Zustand, aber es ist das erste Mal, dass er in der Öffentlichkeit erwähnt wird. »Und ich bin so ungeduldig wie sie«, sagt der König. »Wir haben lange genug gewartet.«
Das Gesicht der kleinen Elizabeth verliert seine Babyfülle. Sei gegrüßt, Prinzessin Frettchengesicht. Die älteren Höflinge sagen, sie sehen eine Ähnlichkeit mit dem Vater des Königs und mit seinem Bruder, Prinz Arthur. Die Augen hat sie jedoch von ihrer Mutter, eifrig und voll in ihrer Kreisbahn. Er findet Annes Augen schön, am besten gefallen sie ihm, wenn sie vor Interesse funkeln wie die einer Katze, die den Schwanz einer kleinen Kreatur vorbeiwischen sieht.
Der König nimmt seinen Liebling zurück und girrt der Kleinen in den Bauch. »Hoch in die Himmel!«, sagt er, wirft sie in die Luft, lässt sie niederfahren und gibt ihr einen Kuss auf den Kopf.
Lady Rochford sagt: »Henry hat ein weiches Herz, nicht wahr? Natürlich mag er Kinder. Ich habe gesehen, wie er das Baby eines Fremden ganz ähnlich geküsst hat.«
Beim ersten Anzeichen von Verdrießlichkeit wird das Kind weggebracht, fest in Pelze gewickelt. Annes Augen folgen ihrer Tochter. Henry sagt, als erinnerte er sich seiner Manieren: »Wir müssen verstehen, dass das Land um die Witwe trauern wird.«
Anne sagt: »Die Leute haben sie nicht gekannt. Wie können sie da trauern? Was war sie für sie? Eine Ausländerin.«
»Ich denke, es gehört sich so«, sagt der König widerwillig. »Da ihr einmal der Titel der Königin gegeben wurde.«
»Irrtümlich«, sagt Anne. Sie ist unerbittlich.
Die Musiker beginnen zu spielen, und der König zieht Mary Shelton zum Tanz. Mary lacht. Sie war die letzte halbe Stunde nicht da und hat rote Backen und glitzernde Augen, keine Frage, womit sie beschäftigt war. Er denkt, wenn der alte Bischof Fisher diesen Feger sehen könnte, würde er glauben, der Antichrist sei gekommen. Es überrascht ihn, dass er die Welt, wenn auch nur für einen Moment, durch Bischof Fishers Augen sieht.
Nach seiner Hinrichtung blieb Bischof Fishers Kopf auf der London Bridge in einem so gutem Zustand, dass die Londoner von einem Wunder zu reden begannen. Am Ende holte ihn der Brückenwart herunter und warf ihn in einem mit Steinen beschwerten Sack in die Themse.
Katherines Körper in Kimbolton ist den Einbalsamierern übergeben worden. Er stellt sich ein Rascheln im Dunkeln vor, ein Seufzen, als sich die Nation zum Gebet bereitmacht. »Sie hat mir einen Brief geschrieben«, sagt Henry. Er holt ihn aus den Falten seiner gelben Jacke. »Ich will ihn nicht. Hier, Cromwell, schaffen Sie ihn weg.«
Beim Zusammenfalten liest er: »Und zuletzt gelobe ich, dass meine Augen vor allem nach Ihnen verlangen.«
Nach dem Tanz ruft ihn Anne zu sich. Sie ist ernst, trocken, aufmerksam: ganz geschäftlich. »Ich möchte Lady Mary, die Tochter des Königs, meine Gedanken wissen lassen.« Ihm fällt die respektvolle Anrede auf. Sie sagt zwar nicht »Prinzessin Mary«, bezeichnet sie aber auch nicht als »spanischen Bastard«. »Jetzt, da ihre Mutter nicht mehr
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