Falkengrund Nr. 29
als achtzehn gewesen sein …
Ihm kam die Idee, dass er noch einmal in die Herrenfelder Straße fahren und sich die Wohnung ansehen konnte. Heute fühlte er sich viel aufnahmefähiger als am Morgen zuvor. Es war möglich, dass er etwas sah, das ihm gestern entgangen war. Da die Kollegen die Tür von Schranz’ Wohnung aufgebrochen hatten, hatte man noch am Nachmittag ein neues Schloss einsetzen lassen. Die Schlüssel dafür hatte die Polizei. Also fuhr Fachinger zunächst zur Direktion, um sie zu holen.
Doch dort waren sie nicht mehr. Er suchte in seinem eigenen Büro und scheute nicht davor zurück, auch noch Godfredsons Büro zu durchwühlen. Nichts. Natürlich konnte er nicht das ganze Gebäude durchsuchen. Er fuhr trotzdem in die Herrenfelder Straße, um sich dort umzusehen. Die Haustür war nicht abgeschlossen, also gelangte er wenigstens ohne Probleme ins Treppenhaus. Er begegnete einem der Mieter, mit denen er gestern gesprochen hatte. Der Mann war offenbar auf dem Weg zur Arbeit und grüßte den Beamten freundlich.
Minutenlang stand er vor der Tür zu Schranz’ Apartment. Er hatte die Klinke probiert – freilich war abgeschlossen. Eigentlich hätte er unverrichteter Dinge abziehen müssen, aber etwas hielt ihn noch an dem Ort. Ein Gefühl, als ob es doch einen Weg gebe, in das Apartment zu gelangen. Nach einer Weile hörte er Geräusche aus der Wohnung nebenan, die Sonja Reisäcker gehörte. Das Klirren von Geschirr, und dazu das Lachen von zwei verschiedenen Personen. Das Haus war ausgesprochen hellhörig, daher hatten so viele Leute den Schrei aus Schranz’ Wohnung vernommen.
Die Reisäcker war also schon auf, und sie hatte offenbar Besuch. Das wunderte ihn. Sie hatte auf ihn den Eindruck gemacht, alleine zu leben. Ohne zu zögern klingelte er.
Die Geräusche verstummten, und es dauerte lange, bis ihm geöffnet wurde. Die Tür ging nur einen Spalt weit auf, die Sicherheitskette war eingehängt, und das verängstigte Gesicht der Mieterin erschien.
„Kommissar!“, hauchte sie. Sie wirkte weitaus erschrockener, als sie es hätte sein dürfen. Fachinger war alarmiert. Die Frau machte den Eindruck, bei etwas Verbotenem erwischt worden zu sein. Er wollte etwas sagen, als er aus dem Hintergrund eine männliche Stimme hörte, die fragte: „Wer ist es?“
Fachinger kannte diese Stimme, und er brauchte einen Augenblick, um die Situation zu begreifen.
„Godfredson!“, donnerte er. Und an die Frau gewandt: „Öffnen Sie sofort die Tür!“
Sonja Reisäcker löste hektisch die Kette, und als die Tür zum zweiten Mal aufging, hatte Fachinger schon seinen Fuß in der Wohnung, drückte die Frau sanft zur Seite und schlug den Weg in die Küche ein. An der rustikalen Eckbank, an der er am Vortag mit der Reisäcker gesprochen hatte, saß nun niemand anderes als sein Kollege Godfredson, in einem gestreiften Pyjama, schlecht gekämmt, etwas Rotes am Kinn, was Marmelade sein musste. Sie waren gerade beim Frühstück. Über einer Stuhllehne lag ein schwarzes Spitzenhöschen.
Der Schwede blinzelte ihm überrascht entgegen. „Sekunde, ich … ich kann dir alles erklären …“
„Nicht nötig“, brummte Fachinger. Es war verrückt, aber in dem Moment, in dem er den Mann von der Spurensicherung da sitzen sah, begriff er die Situation vollständig. Die Steinchen fügten sich ganz von selbst zusammen.
Es war das Aquarium. Sonja Reisäcker hatte Schranz versprochen, die Fische zu füttern. Seit gestern hatte die Tür ein neues Schloss, also konnte sie mit dem Schlüssel, den Schranz ihr gegeben hatte, nicht mehr in seine Wohnung gelangen. Da sie eine einfache, pflichtbewusste Frau war, musste sie bei der Polizei angerufen haben, ob man ihr nicht die Tür öffnen würde, damit sie ihrer Pflicht nachkommen konnte. Godfredson war also mit dem Schlüssel zu ihr gefahren und hatte ihr die Wohnung aufgesperrt. Dabei waren sie sich offenbar näher gekommen. Sonja Reisäcker war geschieden, Godfredson war ebenfalls von seiner Freundin sitzen gelassen worden. Sie waren frei wie zwei Vögel.
Nein, sie waren es nicht.
„Ich habe ein Wörtchen mit dir zu reden“, sagte Fachinger. Zu der Frau, die ratlos neben im Zimmer stand, meinte er: „Könnten Sie uns einen Augenblick alleine lassen, bitte?“
Sie sah aus, als wollte sie etwas erwidern, doch dann zog sie sich stumm in einen Nebenraum zurück und schloss die Tür hinter sich. Fachinger hätte um jeden Preis gewettet, dass sie dahinter lauschte. Also las er
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