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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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eigentlich? Einen Schatten hatte er gesehen, nur für einen Moment. Aber das brauchte der andere nicht zu wissen. Er musste Henning nicht auf die Nase binden, dass er den Irren hatte entkommen lassen. Darüber würde man im Dorf sonst noch in Jahrzehnten lachen.
    Nein, natürlich würde man im Dorf über gar nichts mehr lachen. Die Zeiten des Lachens waren vorbei.
    „Kann ich dein Schwein mal untersuchen?“, fragte Henning.
    „Nein.“
    Der Lange nickte, als würde er verstehen, hob dann leicht die Hand wie zum Gruß, drehte sich um und verließ den Stall.
    Halt , wollte Karsten rufen. Ich habe eine Frage. Du warst doch im Dorf, während wir … na ja … hast du da vielleicht einen Schatten gesehen, schmal, der sich ruckartig bewegt? Hat er sich hier eingenistet, als wir weg waren?
    Aber er sprach es nicht aus.
    Auf dem Rückweg zum Haus wurde ihm bewusst, dass es gut möglich war, dass in den anderen Höfen etwas Ähnliches geschehen war. Da sie alle nicht mehr miteinander redeten, würde er nie erfahren, was einige hundert Meter entfernt vor sich ging.
    Henning hatte versucht, das Schweigen zu brechen.
    Karsten knurrte etwas Unflätiges. Er überlegte, wie er seiner Frau erklären sollte, was passiert war. Am besten, er hüllte sich in Schweigen. Schweigen war das Beste.
    Die Schweine hätten auch besser geschwiegen, anstatt ihn zu behelligen.

5
    Es war gegen neunzehn Uhr, als Artur in Friedlichten eintraf. Sie waren durch düstere Landstriche gekommen, lieblos von Gott hingeworfen wie ein Wachskreidebild von einem frustrierten Kind. Graue Wolken sogen, träge dahinziehenden Vampiren gleich, die letzte Farbe aus der Landschaft. Der Fahrer hatte ihm einiges über die Moore erzählt und sich in heimatkundlichen Fragen als unerwartet bewandert herausgestellt. Artur war eher davon ausgegangen, dass er die besten Kneipen Niedersachsens kannte, aber das eine schloss das andere ja nicht aus. Der Glatzköpfige wusste sogar in alten, gruseligen Sagen zu schwelgen und konnte das Gedicht vom Knaben im Moor aufsagen.
    Nur von Friedlichten sprach er nicht.
    Artur entrichtete einen Fahrpreis, der ein tiefes Loch in sein Budget riss. „Was die Rückfahrt angeht“, meinte der Fahrer, „verlangen Sie einfach Jo, den Manta-Killer. Unter dem Namen kennt man mich im ganzen Münsterland.“
    Artur empfand Erleichterung, dass eine Rückfahrt für ihn überhaupt in Betracht gezogen wurde. Es kamen also bisweilen Menschen aus Friedlichten zurück. Seit die kahlen Häuser aus der Dunkelheit aufgetaucht waren und sich menschenleere Straßen vor ihm ausbreiteten, suchte er unwillkürlich nach einem ramponierten Hinweisschild, dessen (schwer entzifferbare) Aufschrift ungefähr so aussah:
    Friedlichten
    52 Häuser
    113 114 115 Grabsteine
    Einer mehr mit deinem, Reisender.
    Ja, es war ein schauriger Ort, auch ohne dieses Schild. Die Nacht hatte sich über die schweren Dächer gesenkt, die nur vereinzelt erleuchteten winzigen Fenster waren keine Lichtspender, sondern nichts als glimmende, halbblinde Augen in der Finsternis. Das Taxi hatte einige Höfe passiert, die wie verlassen anmuteten, und hier im Ortszentrum gab es niedrige, gleichförmige Häuser mit leeren Schaufenstern und vom Rost zerfressenen Werbetafeln. Falls er kein Bett zum Schlafen fand, würde er das Taxi noch an diesem Abend rufen müssen. Er kam an einem Hinweisschild vorüber, das in fünf Kilometern Entfernung ein weiteres Dorf ankündigte, aber auf eigene Faust würde er sich gewiss nicht ins nächtliche Moor hinaus wagen, mochten die Wege noch so gut ausgeschildert und abgesichert sein. Sein Schutzgeist schützte ihn vor gefährlichen Menschen. Ob er ihn vor unsicherem Untergrund warnen würde, bezweifelte er.
    Artur steuerte ein Haus an, das ein Gasthof sein musste. Die Buchstaben GOLDENER GULDEN glänzten schon lange nicht mehr, waren jedoch in dem gelben Licht, das aus zwei direkt darüber liegenden Fenstern drang, gut zu erkennen.
    Er probierte die Türglocke. Klirrendes Klingeln tief im Haus. Ansonsten keine Reaktion. Er versuchte es erneut, und diesmal wurde eines der Fenster im ersten Stock geöffnet. Ein junger Mann mit einem breiten Gesicht sah heraus. Sein gedehntes „Ja?“ war getränkt in Desinteresse.
    „Bei Ihnen ist … kein Gästezimmer frei?“, fragte Artur zaghaft.
    „Da haben Sie recht“, lautete die lakonische Antwort. Der Mann begann, die Fenster wieder zuzuziehen.
    „Moment!“, rief Artur. „Sie können mir doch bestimmt sagen, wo ich

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