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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Reichweite der Unheimlichen. Und ließ die beiden nicht aus den Augen. Sie wollten nichts mehr von ihm, wankten nur weiter auf die Schweinsblase zu, die auf der Straße lag.
    Die männliche Seele bückte sich danach, hob den Ball auf.
    Ja, es war ein Ball. Früher hatte man Fußbälle aus Schweinsblasen gefertigt und mit Leder verstärkt. Wo kam das Ding her? Aus dem Totenreich, wie die blassen Besucher? Immerhin war es voll mit Blut. Er wollte hoffen, dass es Tierblut war.
    In den Augenwinkeln sah er, dass sich die Umgebung weiter füllte. Zum einen mit Menschen, die auf die Straße eilten. Die Bewohner von Friedlichten, die sich neuerdings so schwer damit taten, einen Fuß vor die Haustür zu setzen, strömten geradezu aus ihren Häusern, darunter Leute, von denen er vergessen hatte, dass sie noch hier wohnten.
    Aber sie waren nicht die einzigen. Auch die Zahl der weißen Gestalten nahm zu. Bleich und krank stolperten sie heran, kamen die Straße herunter oder direkt aus den Häusern, tastend und taumeln, eingehüllt in Membranen aus mattem Weiß.
    „Das Moor“, rief er aus. „Es gibt seine Toten her!“
    Sie sahen nicht aus wie Moorleichen. Es fehlten jegliche Anzeichen der Verwesung, und Reste von sumpfiger Erde. Eher muteten sie an wie schale, verblasste Erinnerungen, denen jemand eine grobe Form verliehen hatte. Das war sie also … die körperliche Gestalt von Seelen. Farblos, milchig, aber greifbar, handfest, nicht nebelhaft. Trotz seiner Angst blieb ihm noch Spielraum zum Staunen.
    „Verflucht!“, hörte er seinen Sohn brüllen. „Was tut ihr Bastarde da?“ Der kräftige junge Mann, der auf den Namen Ulrich hörte, ging auf den Weißen zu, der die Schweinsblase hielt. Mit einem heftigen Schlag prellte er dem Geschöpf den Ball aus der Hand. Dieser rollte schwerfällig zehn Meter über das Pflaster.
    Sofort änderten die Toten ihre Richtung, hielten auf die neue Position des Balles zu.
    Was wollten sie damit? War das Blut in der Blase eine Art Opfer an sie? Zog es sie an? Dürsteten sie danach … wie Vampire?
    Spryhofen lachte scheppernd. Die Toten würden dieses Blut nicht trinken können. Die Hüllen, in denen sie steckten, hatten keine Öffnungen. Sie hatten überhaupt keine Verbindung zu dieser Welt. Ja, sie waren gefangen in ihren eigenen kleinen – wie konnte man das nennen? – Jenseits-Blasen . Und doch agierten sie in unserer Welt, im Diesseits.
    Gerade, als Spryhofen die Idee kam, dass ihre Berührung möglicherweise tödlich sein könnte, wurde er Zeuge, wie sein eigener Sohn sich auf den Unheimlichen stürzte, der nach dem Ball griff. Es war zu spät, um ihn aufzuhalten. Irgendeine Art von Wut hatte Spryhofens Sprössling gepackt – und er wollte nicht entscheiden, ob es der natürliche Hass eines Lebenden auf das Tote, Vergangene war oder etwas anderes – der Hunger nach dem Ball …
    Ulrich Spryhofen packte den Brustkorb des Weißen von hinten, riss das Wesen zurück. Im ersten Moment schien es zu funktionieren, doch dann löste sich ein Schrei aus dem Mund des jungen Mannes. Er erzitterte, als flösse Strom durch seinen Körper, doch er ließ nicht los. Der alte Spryhofen hetzte auf ihn zu, konnte sich jedoch nicht dazu überwinden, ihn anzufassen.
    Nun rutschte Ulrich von selbst von dem Körper ab. „K-k-kalt“, bibberten seine Lippen, er schüttelte seine Hände und rappelte sich wieder auf. Der Weiße befreite sich. Ein anderer Untoter hatte inzwischen die Schweinsblase aufgehoben und wankte damit davon.
    „Lass ihn gehen“, riet Spryhofen.
    Ulrich keuchte. „Das … könnte ihm so passen …“
    Ein gutes Dutzend Seelen hatten sich in nächster Nähe versammelt. Sie hatten nur Augen für den Ball. Mehr als doppelt so viele Menschen waren aus den Häusern gekommen, bildeten eine lebende Mauer um die Weißen herum, eine Mauer, die sich langsam schloss. Von außen wiederum kamen weitere Seelen nach.
    Ulrich war nicht so dumm, denselben Angriff noch einmal zu versuchen. Er kickte nach der Schweinsblase, die der Untote hielt. Diese flog durch die Luft, auf die Mauer aus Menschen zu. Ein Mann mittleren Alters fing sie auf, was bei ihrem Gewicht nicht ganz einfach war. Sofort kamen die wandelnden Toten auf ihn zu.
    „Hier!“, brüllte Ulrich. „Zurück zu mir!“
    Während der Mann noch zögerte, erreichten die Seelen in ihren weißen Hüllen ihn. Sie reckten sich nach dem Ball, und als er ihn hoch in die Luft hob, drückten sich drei von ihnen gleichzeitig an seinen Körper.

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