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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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hinaus in …“ Plötzlich veränderte sich etwas in seiner Miene. Seine Züge, die begonnen hatten, sich zu entspannen, wurden wieder hart und konzentriert, leidend beinahe. „Würdest du mit mir nach Schottland fahren? In meine Heimat? In das Dorf, wo ich aufgewachsen bin? Ich war seit Jahrzehnten nicht mehr dort.“
    Sie zögerte mit der Antwort. „Hat es einen bestimmten Grund, dass du dorthin möchtest?“
    Er sah sie an. „Einen Grund?“, echote er. „Außer dem, dass ich mich gerne an meine Jugend zurückerinnern würde? Nein.“
    Mama löste sich von ihm, erhob sich. Und wartete, bis auch er aufgestanden war. Er ächzte leise. Offenbar schmerzte seine Hüfte vom Sitzen auf dem Boden, aber er versuchte es vor ihr zu verbergen. „Ich habe eine Bedingung“, meinte Mama.
    Sein Mund unter dem Schnurrbart wurde klein und verkniffen. „Ich höre.“
    „Ich verlange, dass du offen zu mir bist.“
    „Ich bin offen zu dir.“
    „In Bezug auf eine bestimmte Sache, meine ich. Ich habe in deiner Bibliothek ein Buch gefunden, in dem der Artikel über ein Sagenwesen übermalt war. Und ich habe den Mann angerufen, der den Artikel geschrieben hat. Ich weiß jetzt, was man sich in den schottischen Lowlands unter einem Red Cap vorstellt.“
    Er sog die Luft ein, lenkte seinen Blick zur Seite.
    „Jetzt möchte ich wissen, was dieses Fantasiegeschöpf mit dir zu tun hat. Du warst es doch, der den Artikel ausgelöscht hat, nicht wahr?“
    „Ich werde Lucy bitten, uns einen Tee zu bringen“, sagte er, durch und durch britischer Gentleman. Lucy war die Köchin.
    Drei Minuten später saßen sie im Esszimmer. In dieser Zeit hatte er sie nicht angesehen. Das typisch schottische Shortbread duftete ihnen aus der frisch geöffneten Dose entgegen, ein wenig fettig, aber verführerisch. Mama nahm sich eines.
    „Als ich ein zehnjähriger Junge war“, begann MacNorras, während er den Teebeutel aus der Kanne nahm, „starb mein Vater. Er war damals erst fünfunddreißig. Er starb nicht an einer Krankheit oder an einem Unfall. Er wurde getötet.“
    Mama lauschte ihm mit ernster Miene. Sie hatte sich bereits auf eine dramatische Geschichte eingestellt, auf eine Erinnerung, die er in seinem Inneren eingeschlossen hatte, daher kam eine solche Eröffnung nicht überraschend für sie. „Hat man den Mörder gefasst?“, fragte sie, da die Pause sehr lang ausfiel.
    Sein Kopfschütteln war nur ein kurzes nervöses Zucken. „Nein. Und man wird ihn nie fassen.“
    „Er hat sich nicht etwa … selbst …“ Kaum waren diese Worte ausgesprochen, bereute sie bereits ihre Taktlosigkeit, aber er schien nicht einmal mitbekommen zu haben, dass sie etwas gesagt hatte.
    „Er wurde von einem Red Cap getötet. In Perrick Castle. Das ist eine Ruine in der Nähe meines Heimatdorfes.“
    Mama betrachtete das Gebäck in ihrer Hand. „Bist du sicher?“
    „Ich war nicht dabei“, erwiderte er aufrichtig. „Aber er starb, weil jemand schwere Steine auf ihn herabwarf, von einem Turm aus.“
    „Das könnte auch ein gewöhnlicher Mensch getan haben.“
    „Mein Vater hatte keine Feinde. Alle Leute, die er jemals kennen gelernt hatte, hielten sich im Dorf auf, als er da draußen starb.“
    „Vielleicht hatte er ein Geheimnis. Vielleicht kannte er Leute, von denen du nichts wusstest.“
    „Verstehst du jetzt, warum ich dir nie davon erzählt habe?“
    „Ehrlich gesagt, nein. Was du mir jetzt sagst, hättest du mir schon früher sagen können.“
    „Aber du glaubst mir nicht. Du denkst, ich bilde mir das ein. Jetzt sprichst du noch mit mir wie mit einem normalen Menschen, aber schon bald wirst du anfangen, mich wie einen Verrückten zu behandeln.“
    „Nevin, das würde ich nie tun.“
    „Du tust es jetzt schon! Deine Blicke tun es schon.“ Er schloss die Augen und rieb sich die Lider, wie um seine Gefühle zu kontrollieren. „Weißt du überhaupt, wie es sich anfühlt, wenn ein Mann von zweiundsechzig Jahren von einem jungen Ding wie dir angesehen wird wie jemand, der nicht alle Tassen im Schrank hat?“
    Sie schluckte das Gebäck hinunter. „Und was willst du jetzt tun? Deinen Vater rächen?“
    „Gegen das, was ihn getötet hat, kann ein Sterblicher nichts ausrichten.“
    „Weil diese Red Caps Elben sind.“
    Blitzartig stand er auf. „Ich habe einen Beweis.“ Er verschwand in seinem Schlafzimmer und kehrte mit einem Briefumschlag wieder zurück. Zuerst schob er das Geschirr auf eine Seite des Tisches, ehe er den Umschlag auf die

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