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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Während er der gertenschlanken, braungebrannten Schönen entgegenblinzelte, die sich ihm ausgelassen tänzelnd an der Markise vorbei näherte, registrierte er, dass er splitterfasernackt und aufgedeckt auf dem Bett lag und alle Fünfe von sich streckte. Auch das Mädchen – wie hieß es noch gleich? – trug keinen Faden am Körper. Er musste grinsen. Eigentlich kleidete er die Frauen nur ein, um sie wieder auszukleiden. Was für ein sinnloses, absurdes, wunderbares Leben …
    Das durch die Löcher im Rollladen einfallende Tageslicht stanzte ein irgendwie futuristisch wirkendes Muster in ihre Haut. Und auf das Blatt Papier, das sie in der Hand hielt.
    „Was hast du da?“, wollte er wissen. Als sie nahe genug war, schnellte er plötzlich vom Bett hoch, griff sie um die Hüfte und zerrte sie ins Bett. Sofort lag sie auf ihm, und das Papier raschelte in ihren Fingern. Er entriss es ihr lachend und küsste sie gleichzeitig. Zunächst hielt er es weit von sich, beachtete es nicht. Seine Küsse wanderten über ihren Hals, seine freie Hand über ihren Bauch.
    Erst, als sie sich mit gespielter Entrüstung seinem Griff entwand, schenkte er dem Papier einen Blick.
    Und seine Lust war von einem Moment zum anderen verschwunden.
    „Wo hast du das her?“ Er rollte sie zur Seite auf das zerknüllte Laken und schwang sich nach oben, so dass er auf der Bettkante saß, den Zettel in der Hand. Diesen fixierte er ungläubig.
    Zettel war stark untertrieben. Das Din A 4-Blatt war mit schönen, gestochen scharfen Buchstaben bedeckt. Fremdartigen Buchstaben. Es waren sechzehn Zeilen, alle nahezu gleich lang. Ein Gedicht.
    „Schrei mich nicht an!“, maulte sie, noch viel lauter, als er gesprochen hatte. „Es lag da drüben auf dem Sekretär. Ich musste mal für kleine Mädchen, und auf dem Rückweg ist es mir aufgefallen.“
    Roy spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Ihm wurde heiß, und er begann das Papier zu schütteln, als könnte er die Buchstaben damit verschwinden lassen. Die Luft wurde ihm knapp, er fasste sich gewohnheitsmäßig an den Hals, obwohl da jetzt nicht einmal ein Hemdskragen war, von einer Krawatte ganz zu schweigen.
    „Ellen“, das war ihr Name, ja, so hieß sie, „hör zu, du musst dich ganz schnell anziehen und diese Wohnung verlassen. Je eher du draußen bist, desto besser … das heißt, nein, ich werde dich nach unten begleiten … oder nein, es wird klüger sein, wenn ich hier bleibe und … verdammt … verdammter Mist …“
    „Was steht denn da? Kannst du das lesen?“, erkundigte sich die Schöne. So leicht war sie nicht aus der Ruhe zu bringen. Sie schmiegte sich nackt an seinen Rücken, schlang die Arme um ihn. „Sag mal, zitterst du auf einmal? Wenn dir kalt ist, weiß ich was, um dich wieder …“
    „Es ist nichts!“, unterbrach er sie. „Keine Ahnung, was für eine Schrift das sein soll.“ Er brabbelte nur so drauflos, ohne nachzudenken. Was sollte er ihr auch erzählen? Dass er das Blatt nicht auf den Sekretär gelegt hatte, dass er es noch nie zuvor gesehen hatte, dass es nur jemand dort hingelegt haben konnte, der sich unerlaubt Zutritt zu seinem Luxusapartment verschafft hatte? Dass er diese Schrift und diese Sprache vor wenigen Jahren mühsam und wie besessen erlernt hatte? Dass dort in vollendeter Gedichtform ein unerhörter Inhalt stand, sinngemäß in etwa:
    Es ist an der Zeit, eine Gegenleistung zu fordern für die Schönheit, die wir deinem Leben hinzufügen. Diese Frau ist die richtige. Alle bisherigen haben nicht unseren feinen Geschmack getroffen, doch dieses Weib ist perfekt. Du erleichterst uns die Arbeit, indem du sie fesselst und in der Wohnung zurücklässt, wenn du gehst. Denke nicht daran, uns zu hintergehen. Wir sind längst in deiner Wohnung, jetzt, während du diese Zeilen liest.
    Gehetzt blickte er sich um. Befand sich wirklich jemand hier? Das war gar nicht so abwegig. Das Apartment war geräumig – sechs Zimmer, Küche, Bad, zwei Balkone, dazu riesige begehbare Wandschränke. Sie konnten überall stecken. Unwillkürlich zog er die Beine an und legte sie auf die Matratze, für den Fall, dass einer von ihnen unter dem Bett lauerte wie die Monster seiner Kindheit. Wie kamen sie nur herein? Bestimmt hatten sie den Hausmeister um seinen Nachschlüssel erleichtert. Es ging ihnen so leicht von der Hand, Menschen zu verführen und zu benutzen. Er sah es ja an sich selbst.
    „Ich kann das nicht“, knurrte er und erschrak, als Ellen unschuldig fragte: „Was

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