Falkengrund Nr. 33
der Bruder. „Sobald Sie etwas erkennen, verraten Sie mir, was es ist.“
Es war eine Frau. Aber sie kauerte dort nackt auf dem Boden wie ein wildes Tier. Anstatt zu schlafen, wie die anderen, hatte sie sich über etwas gebeugt, das wie ein Klumpen rohen Fleisches an einem Knochen aussah. Die Hände gegen die Erde gepresst, schlug sie die Zähne in das Fleisch und riss sich ein Stück davon ab. Dann stieß sie ein Zischen aus, das in ein Knurren überging.
Soweit er es erkennen konnte, war die Frau jung und nicht ohne Reize. Ihre kleinen Zöpfe waren zerzaust und voller Staub. An ihren großen, schweren Brüsten klebte der Sand in dicken Klümpchen. Vielleicht war es ihr Schweiß, der ihn so sehr haften ließ. Vielleicht war es auch Blut, das Blut ihrer Beute, das über ihren Hals hinab auf ihren Oberkörper lief.
„Sie ist krank“, meinte Enene, steckte die Hand durch den Spalt und berührte einen der Gitterstäbe.
Der zusammengezurrte Mund von Bruder Quirinius produzierte ein enges kleines Lächeln. „Und ich dachte, Sie würden sie eine Werleopardin nennen. Übrigens würde ich nicht so nahe rangehen, wenn ich Sie wäre …“
In diesem Moment machte die Frau einen Satz nach vorne. Ihr Körper krachte lautstark gegen das Gitter. Der Käfig rasselte und klapperte, das Geräusch gab einen Eindruck davon, wie schlecht es um seine Stabilität bestellt war. Enene spürte einen brennenden Schmerz am Mittelfinger und zog die Hand weg. Nicht weit genug, denn gleichzeitig schoss ein dunkler Arm aus dem Käfig heraus. Eine Hand mit langen, scharfen Fingernägeln erwischte sein Hemd und verkrallte sich darin.
Mit einem Aufschrei warf er sich zurück, doch das Hemd zerriss nicht. Zu gute Qualität. Die Klaue fasste nach, ein Schmerz fraß sich in seine Brust, er geriet in Panik, packte den Arm und versuchte ihn abzuschütteln.
Bruder Quirinius ergriff ihn unter den Achseln und zog ihn brutal zurück. Jetzt wurde das Hemd zerfetzt, und der Schmerz ließ augenblicklich nach. Enene und sein Retter fielen rückwärts auf die Erde. Für einen Moment lag Enenes Oberkörper auf dem Klosterbruder, und der Leib des Mönchs fühlte sich seltsam an, als verstecke er etwas unter seiner Kutte …
In einer anderen Situation hätte er nachgehakt, doch die Frau im Käfig brüllte wie eine Löwin und schepperte an dem Gitter, dass er fürchten musste, es würde jeden Augenblick auseinanderfallen. Sie hatte die Hälfte seines Hemds erbeutet, hatte es sich in den Mund gesteckt. Mit der anderen Hälfte wischte Enene über die Wunde, die sie ihm beigebracht hatte. Etwas unterhalb seiner Brustwarzen verlief eine beinahe horizontale Linie, aus der Blut sickerte.
„Der Keim der Gestaltwandlerin wird auf Sie übergehen“, sagte Quirinius, und es war unmöglich zu entscheiden, ob er es ernst meinte oder ihn nur aufzog. „Sie sind verloren. Am besten, wir sperren Sie gleich zu ihr.“
„Hören Sie mit dem Unsinn auf!“, erregte sich Enene. Ihm war nicht nach Scherzen zumute. Wenn es ernst gemeint war, wollte er es noch weniger hören. Was die Frau wirklich war, wusste er nicht. Eine Verrückte vielleicht. Ganz sicher war sie keine Schauspielerin. Falls sie eine Krankheit hatte, die sich über das Blut übertragen ließ, war er jetzt in großer Gefahr. Es handelte sich nicht um eine große Wunde, aber er musste wenigstens versuchen, sie zu desinfizieren.
Als er sich aufrappelte, sah er die Gestalten.
Natürlich. Der Lärm musste das Dorf geweckt haben. Langsam kamen die großen schlanken Leute heran. Im Gegenlicht der Sonne wirkten sie tatsächlich wie schwarze Schatten. Glänzende Schatten. Aber sie trugen keine Geweihe auf dem Kopf, und ihre Bewegungen waren unverkennbar die von Menschen.
„Mein Name ist Enene Afam. Ich komme mit ein paar Fragen.“
Ein muskulöser junger Mann mit einer breiten, das Gesicht dominierenden Nase erreichte ihn als erster. „Warum lassen Sie Rupe nicht in Frieden?“
Enene streifte die Reste seines Hemds ab und klopfte sich den Staub vom Körper. „Ist das Rupe?“, erkundigte er sich und zeigte auf den von Wellblech verdeckten Käfig. „Was hat sie? Ist sie krank?“
„Wir sind alle krank“, lautete die überraschende Antwort.
„Haben Sie das gehört?“, wisperte Quirinius. Und doch schien er keine Angst zu haben. Er stellte sich dem jungen Mann entgegen, der ihn ausgiebig musterte.
„Sie haben den Film gedreht, nicht wahr?“ Enene beschlich der furchtbare Gedanke, er könne sich im
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