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Falkengrund Nr. 34

Falkengrund Nr. 34

Titel: Falkengrund Nr. 34 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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sich in Stresssituationen oft wenig zuverlässig, und unter seinen vier Helfern war kein einziger, für den er auch nur eine Sekunde lang die Hand ins Feuer gelegt hätte. Im Vorfeld hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Hilfe seiner vier Freunde Arkright, Jessop, Taylor und Dodgson in Anspruch zu nehmen, doch da er wusste, dass zwei von ihnen geschäftlich verhindert waren und sich ein weiterer bei seiner kranken Mutter in Portsmouth aufhielt, verzichtete er auch auf den letzten von ihnen und stellte sein Team lieber ganz aus Fremden zusammen. Vielleicht hätte seine Haushälterin Noreena Stryker sich nützlich machen können, doch er hatte den Eindruck, dass sie alles in allem keine sehr abenteuerlustige Frau war. Mehrmals hatte sie versucht, ihn von seinen Reisen zum Lake Easton abzubringen, ganz, als ahne sie eine schreckliche Gefahr für ihn voraus. Am liebsten hätte sie ihren „Professor“ wohl in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen, damit ihm nichts zustieß. Frauen liebten Abenteurer, aber sie hassten es, wenn diese tatsächlich Abenteuer erlebten – ein Paradoxon, das schwerer zu durchleuchten war als die ätherisch-metaphysischen Zusammenhänge jedes übernatürlichen Falles, mit dem Carnacki je konfrontiert worden war …
    Als die mit dem Pentakel verbundenen Boote hinausschwammen, verstummten die Menschen, sogar die Mädchen hörten auf zu kichern und zu quieken. Was sie taten, hatte etwas Feierliches, nahezu Religiöses an sich, und alle spürten es. In vielen Kulturen gab es Rituale, bei denen Boote auf Seen, auf Flüsse oder aufs Meer hinausgeschickt wurden. Bei manchen indianischen und asiatischen Völkern legte man die Toten in Kanus und stieß sie vom Ufer ab, damit sie den Weg ins Jenseits fanden. In buddhistischen Ländern gab es Laternenfeste – kleine Lichter in winzigen Schiffchen wurden zu Tausenden ins Wasser gelassen. Auch sie repräsentierten die Toten, ihre Seelen, die hinaustrieben in eine andere, vielleicht bessere Welt.
    Diese Gedanken machten Carnacki melancholisch. Sie gaben ihm das wenig tröstliche Gefühl, dass auch sie fünf ins Jenseits entschwebten, dass sie vielleicht nie mehr im Besitz ihrer Seelen ans Ufer zurückkehren würden, dass es nur ihre leblosen Körper sein würden, die wieder dort ankamen. Er schüttelte sich, doch die Stimmung ließ sich davon nicht vertreiben. Sie waren fünf Menschen in der Blüte ihres Lebens, von einem riesigen bizarren Symbol aneinander gekettet wie Opfertier in einer fernen, blutigen Vergangenheit. Würde der See sie verschlingen?
    Ein leichter Wind ging. Er schuf kleine Wellen, doch vor einem Sturm brauchten sie in dieser Nacht keine Angst zu haben. Zumindest nicht vor einem natürlicher Herkunft.
    „Gleich ist es weit genug“, rief Carnacki in die Stille hinein und erschrak, wie dünn seine Stimme klang. Er räusperte sich mehrmals und fügte dann hinzu: „Sobald wir stehen, aktivieren wir das Pentakel!“
    Um die Wirkung zu verstärken, hatte er veranlasst, dass Spuren aus mehreren Metallen über das Aluminium liefen. Dadurch entstanden mehrere Pentagramme ineinander, aus Kupfer, aus Eisen, aus Zinn, und eines aus Silber. Die Reihenfolge der Materialien war nicht zufällig gewählt, sondern entstammte einem Paragraphen im Sigsand Manuskript, in dem es hieß: „Der Waechter steyhen fyre, ire Rystungen seyn Cupfer, Eysen, Zynne und Sylber.“
    Es war ihm nicht wohl dabei, keine Kreidestriche ziehen, keine Kerzen entzünden und keinen ‚Kreis aus Wasser’ erstellen zu können. Der See machte das alles unmöglich, und es war das erste Mal in seinem Leben, dass er auf alle diese Dinge zusammen verzichten musste. In seinem Kopf keimten hundert Ideen, welche Schutzmaßnahmen man entwickeln konnte, die auch auf dem Wasser und unter freiem Himmel zum Einsatz zu bringen waren – doch für ihre Ausarbeitung fehlte ihm die Zeit. Er hätte es niemals zugegeben, aber er befand sich im Wettstreit mit Sir Darren. Er musste Ergebnisse haben, ehe dieser mit welchen auftrumpfte.
    Ein paar Regentropfen fielen, und der Wind frischte auf. Carnacki konnte sehen, wie die beiden Frauen fröstelten. Ihre Laternen zitterten.
    „Ich schalte ein“, verkündete der Geisterdetektiv und legte den Hebel um, der den Strom in das Pentakel ließ.
    Sofort verwandelte sich der Lake Easton in eine fremde Welt. Das hellblaue Glühen schien riesig, und erstmals hatte Carnacki das Gefühl, das Leuchten im Elektrischen Pentakel sei nicht mehr eine von Menschenhand

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