Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Kugel erwischt.«
Tobias gab einen Laut des Entsetzens von sich. Sein Onkel tot?
Das konnte nicht sein! Eine eisige Hand schien seine Brust zusammendrücken zu wollen. Er stürzte zur Tür und riss sie auf.
»Onkel Heinrich! … O Gott, du lebst!«
»Natürlich lebe ich, mein Junge! Was hast du denn erwartet? Dass ich mich einfach so verdrücke?«, versuchte Heinrich Heller zu scherzen, während er mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Ecke der Kutsche lehnte. »Meine Zeit ist noch nicht gekommen, auch wenn Zeppenfeld da anderer Meinung ist. Es liegen noch eine Menge unvollendeter Arbeiten auf meinem Schreibtisch und ich gedenke sie auch alle zum Abschluss zu bringen.«
»Aber du bist verwundet!«, stieß Tobias hervor, zwischen Erleichterung und Entsetzen hin und her gerissen. Sein Onkel trug um seine linke Schulter einen provisorischen Verband aus dem Stoff, der einmal die Deckenbespannung im Innern der Kutsche gewesen war. Und der Verband war blutdurchtränkt!
»Nun mach nicht so ein entsetztes Gesicht, mein Junge. Mir ist schon Schlimmeres widerfahren«, versuchte Heinrich Heller ihn zu beruhigen und rutschte auf der Bank zur Tür. Tobias hielt ihm seine Hand hin, um ihn zu stützen.
»Sadik hat die typisch arabische Schwäche der Übertreibung. Glatter Schulterdurchschuss. Hab zwar etwas Blut verloren und bin daher ein bisschen zitterig auf den Beinen. Aber das reicht nicht aus, um mich mit meinen Ahnen zu vereinen. Bin zwar alt, aber zäh. Ja, gib mir deinen Arm. Die Kugel war nicht halb so schlimm wie Sadiks Höllenfahrt. Ich dachte, er wollte alles dransetzen, dass wir uns überschlagen und uns alle Knochen im Leib brechen.«
»Sie waren hinter uns her, Sihdi!«
»Aber nicht mehr, als wir aus Mainz raus waren, mein Guter. Ich muss schon sagen, du kennst dich in der Stadt zehnmal besser aus als ich. Ohne dich hätten sie uns tatsächlich gefasst.«
»Sie müssen sich sofort hinlegen, Sihdi«, drängte Sadik. »Und dann muss ich mich um Ihre Verletzung kümmern. Überlass ihn mir, Tobias. Kümmere du dich darum, dass Jakob und Klemens die Zufahrten im Auge behalten. Zeppenfeld und seine Männer werden nicht lange auf sich warten lassen. Und wenn sie sich zu nahe heranwagen, dann feuert Warnschüsse ab. Aber über ihre Köpfe! Dein Onkel hat Schwierigkeiten genug.«
»Mein Freund, du beherrschst die Untertreibung genauso gut wie die Übertreibung«, murmelte Heinrich Heller.
Tobias holte die Schrotflinte aus der Kutsche, gab sie Klemens und teilte den beiden Männern mit, was sie zu tun hatten. Dann eilte er zu Sadik und seinem Onkel ins Haus.
Heinrich Heller lag im Salon auf der Couch, den Oberkörper entblößt, und Sadik kümmerte sich um die Wunde. Agnes hatte mit todesbleichem Gesicht heißes Wasser und saubere Tücher gebracht.
»Was ist in Mainz passiert, Sadik?«, fragte Tobias.
»Wir sind verraten worden«, antwortete sein Onkel und verzog das Gesicht, als Sadik die Wunde reinigte.
»Verraten? Von wem?«
»Von Konrad Nagelbrecht, dem Graveur. Ich bin sicher, dass er es war, der uns an Pizalla oder Zeppenfeld verraten hat«, berichtete Heinrich Heller, musste aber immer wieder eine Pause einlegen, wenn der Schmerz ihn übermannte. »Niemand sonst kann es gewesen sein. Nagelbrecht steckt in Schwierigkeiten, hatte sich mit seinem neuen Geschäft übernommen. Und dann kam auch noch die schwere Krankheit seiner Frau hinzu, die im Geschäft gestanden hat. Er war schon bei unserem letzten Treffen so merkwürdig gedankenabwesend, überhaupt nicht so gesprächig wie sonst und auch nicht mit dem üblichen Elan bei der Sache. Wir dachten uns aber nichts dabei, denn wir wussten ja von seinen Problemen zu Hause und im Geschäft. Dass er sich für das heutige wichtige Treffen entschuldigt hatte, hat uns nicht stutzig werden lassen. Angeblich hatte sich der Gesundheitszustand seiner Frau verschlechtert, so hörte ich es von Kupferberg. Doch das war eine Lüge. Er hat uns verkauft, hat seine Gesinnung verkauft für einen Beutel Goldstücke, dieser Judas!«
»Warum war das Treffen heute so wichtig?«
»Wir hatten eine Flugschrift vorbereitet, mit deren Druck wir heute begonnen haben. Kupferberg hat im Keller seines Hauses eine kleine Presse, auf der wir schon seit Jahren unsere Aufrufe drucken. Und es gehörte zu unseren ungeschriebenen Gesetzen, dass wir alle zugegen waren, wenn ein neues Pamphlet bei ihm in Druck ging. Um das Risiko mit ihm zu teilen, aber auch um die Arbeit zu beschleunigen. Deshalb
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