Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
sich vorzustellen, mehr als siebenhundert Tage eingesperrt zu sein. Es gelang ihm nicht. Schon eine Woche erschien ihm unerträglich lang. Aber zwei Jahre …
»Jeder Tag davon ist zu viel«, sagte Sadik. »Aber es hätten auch leicht zehn, fünfzehn Jahre und mehr sein können, mein Junge! Deshalb sollten wir eher erleichtert als bedrückt sein, so ungerecht seine Einkerkerung auch ist. Wer zum Löwen sagt: ›Dein Maul stinkt!‹, muss damit rechnen, dass er in Schwierigkeiten gerät. Zwei Jahre Kerker, gewiss, das ist bitter. Aber Sihdi Heinrich hätte es noch bedeutend schlimmer treffen können.«
»Ein schwacher Trost«, murmelte Tobias.
»Wer den Einäugigen bedauert, vergisst, dass die Blinden ihn beneiden.«
Jana pflichtete Sadik mit einem Nicken bei und zu Tobias sagte sie aufmunternd: »Sadik hat Recht. Wir müssen eher dankbar sein, als mit dem Schicksal zu hadern. Es hätte für deinen Onkel wirklich sehr viel schlimmer ausgehen können. Die zwei Jahre wird er bestimmt überstehen ohne Schaden zu nehmen. Er wird sich in dieser Zeit nicht unterkriegen lassen. Dafür ist er viel zu willensstark. Stell dir einfach vor, er würde eine lange Reise unternehmen – wie dein Vater, den du doch oft auch über Jahre nicht gesehen hast. Es ist eine schlimme Reise, die dein Onkel durchstehen muss, aber er wird von ihr zurückkehren, das weiß ich.«
»So sehe ich es auch, junger Herr. Ihr Onkel lässt sich von niemandem nicht unterkriegen!«, meinte Jakob nachdrücklich und mit Stolz in der Stimme. »Und solange er sich mit Büchern umgeben darf, was der Fall ist, macht sich auch der Herr Pagenstecher keine Sorgen nicht. Er ist guten Mutes und es gibt keinen Grund nicht, sich um Ihren Onkel Sorgen zu machen – das soll ich Ihnen von ihm ausrichten.«
Tobias wurde es ein wenig leichter ums Gemüt. Auf Pagenstecher war Verlass. Wenn dieser Mann guter Hoffnung war, gab es auch für ihn keinen Anlass, den Kopf hängen zu lassen. »Hast du für mich Post von meinem Onkel?«
»Natürlich, der Brief von Ihrem Onkel! Heilige Muttergottes, wie konnte ich den nur vergessen! Ich habe ihn in meine Jacke eingenäht. Noch nicht mal Zeppenfeld hat ihn gefunden! Pagenstecher brachte ihn mir mit der Aufforderung des Herrn Professors mich nun unverzüglich hierher auf den Weg zu machen. Ich weiß, mich trifft die Schuld, dass Zeppenfeld Ihnen eine Falle stellen konnte. Aber ich war so vorsichtig, wie ich konnte, aber doch auch in Eile«, entschuldigte sich der Knecht nun für das Versäumnis, ihm noch nicht den Brief ausgehändigt zu haben, sowie für seine mangelhaften Vorsichtsmaßnahmen. Schuldbewusstsein stand deutlich auf seinem Gesicht.
»Nur das Kamel kann Last auf zwei Seiten tragen«, beruhigte ihn Sadik. »Du hast dein Bestes gegeben, Jakob, und gegen einen Mann wie Zeppenfeld den Kürzeren zu ziehen ist keine Schande. Zudem: Nur der Dumme klagt über das trockene Fladenbrot am Morgen, während er am Abend vor leeren Schüsseln sitzt.«
Jakob warf ihm einen dankbaren Blick zu und wollte aufstehen. »Ich hole den Brief des Professors.«
»Das hat jetzt keine Eile. Der Brief kann noch etwas warten«, hielt Sadik ihn zurück. »Wir müssen zuerst besprechen, wie wir uns Zeppenfeld und seine Männer vom Hals schaffen.«
Jacques, der bis dahin aufmerksam, aber schweigend zugehört hatte, sagte verwundert: »Aber das liegt doch auf der Hand! Wir übergeben sie der Gendarmerie! Sie haben uns überfallen und dafür werden sie im Kerker landen!«
Tobias verzog das Gesicht. »Schön wäre es, aber leider können wir uns das nicht erlauben.«
»Aber wieso denn nicht?«
Sadik erklärte es ihm und schloss mit den Worten: »Wir müssen Zeppenfeld ein paar Tage aus dem Verkehr ziehen ohne dass wir mit den Behörden etwas zu tun haben. Denn sonst gelingt es Zeppenfeld noch, den Spieß umzudrehen und uns hinter Gitter zu bringen.«
»Und dann sind wir den Falkenstock endgültig los«, fügte Tobias düster hinzu. »Was wir brauchen, ist ein Vorsprung von mindestens drei, vier Tagen.«
Jacques grinste. »Aber das ist doch gar kein Problem, meine Freunde! Ich hänge ein Schild vorn an die Einfahrt, dass mein Gasthof vorübergehend geschlossen ist, und halte dieses Gesindel einfach eine Woche da unten im Keller fest!«, bot er ihnen ohne lange zu zögern an.
Sadik sah ihn ernst an. »Ihr Angebot ehrt Sie, Jacques. Aber wir können es nicht annehmen, denn es würde Ihren Tod und den Ihrer Frau bedeuten! Irgendwann müssten Sie
Weitere Kostenlose Bücher