Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
eine Revolution ausbricht und wir hier festsitzen?«
»Hm, ja, das passt natürlich nicht gut zusammen«, räumte Tobias ein und sah nun ebenfalls besorgt aus.
»Beeilen wir uns, die Rue de la Vanniere aufzusuchen. Wer das Kamel verliert, sucht nicht nach dem Sattel«, bemerkte Sadik.
Tobias zog die Augenbrauen hoch. »Was heißen soll?«
»Wenn hier eine Revolution ausbricht, werden wir anderes zu tun haben, als nach einem Koran zu fahnden. Dann haben wir wahrscheinlich genug damit zu tun, um mit heiler Haut aus der Stadt hinauszukommen. Deshalb lasst uns keine Zeit verlieren. Gaspard wartet unten im Hof.«
Angesichts der ungewissen Lage beschlossen Sadik und Tobias, sich mit Florett und Säbel zu bewaffnen. Auch Gaspard trug ein langes Messer an seinem Gürtel.
Sie hatten noch nicht die Seine erreicht, als sie auf der Straße die nächsten Hiobsbotschaften vernahmen: Die Behörden hatten die Druckerpressen der drei Zeitungen beschlagnahmt und von Soldaten zerstören lassen. Dieses Ereignis heizte die Stimmung in den Straßen noch mehr an. Und es ging das Gerücht, in einigen Bezirken der Stadt hätten Studenten der Universität und Schüler des Polytechnikums schon damit begonnen, Barrikaden zu errichten und den Widerstand gegen die Staatsgewalt zu organisieren.
Auf ihrem Weg in die Rue de la Vanniere konnten sie noch keine Zusammenstöße zwischen Soldaten und Zivilisten beobachten. Doch es lag Gewalt in der Luft!
»Hoffentlich ist sie jetzt zu Hause«, meinte Tobias, als sie das dunkle, übelriechende Treppenhaus betraten und in den vierten Stock hochstiegen. Gaspard wartete auf der Straße auf sie.
Sadik klopfte an die Wohnungstür. Doch es rührte sich nichts dahinter. Er klopfte noch einmal, diesmal jedoch so heftig, als wollte er sich mit Gewalt Einlass verschaffen. Und nun antwortete ihnen eine gereizte Frauenstimme aus der Wohnung.
»Himmelherrgott, was soll dieses Gepolter? Ich bin doch nicht taub! Ich komme ja schon! Werde mir aber wohl noch was überziehen dürfen, oder?«
Tobias grinste. »Mir scheint, du hast sie aus dem Schlaf geholt.«
»Es hindert sie niemand daran, sich wieder hinzulegen, wenn wir erst den Koran haben«, erwiderte Sadik gelassen.
»Sofern sie ihn herausrückt«, meinte Jana skeptisch.
Die Tür wurde einen Spalt geöffnet und sie erhaschten einen Blick auf eine junge, rothaarige Frau, die trotz verschmierter Schminke im Gesicht und wirrer Frisur zweifellos hübsch zu nennen war. Sie trug einen fliederfarbenen Morgenrock.
»Wer sind Sie und was wollen Sie?«, herrschte sie Sadik unfreundlich an, der der Tür am nächsten stand.
»Bitte entschuldigen Sie, dass wir zu so unpassender Zeit vor Ihrer Tür stehen und Sie mit unseren Problemen belästigen, Mademoiselle Maupas«, erwiderte Sadik mit ausgesuchter Höflichkeit. »Aber wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen. Es handelt sich nämlich um den Koran, den Monsieur Blancourt Ihnen …«
»Horace schickt Sie?«, fiel sie ihm mit schriller, aufgebrachter Stimme ins Wort. »Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit, dass er jetzt auch noch seine Geschenke wiederhaben will! Sagen Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren!«
»Warten Sie!«, rief Sadik eilig. »Es ist nicht so, wie Sie glauben. Der Koran hat nichts mit Horace Blancourt zu tun!«
»Lassen Sie mich mit dem blöden Koran in Ruhe! Ich will nichts mehr hören! Mit dem Schweinehund bin ich ein für allemal fertig!« Sie knallte ihnen die Tür vor der Nase zu.
Sadik sah verdutzt drein. »Ein Haar vom Steiß des Teufels bringt Segen. Ein wütendes Weib ist dagegen so ergötzlich wie ein wunder Gaul«, brummte er missmutig.
Tobias konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Ich schätze, du wirst dein Glück noch einmal bei ihr versuchen müssen. Oder soll ich mal mit ihr reden?«
»Vielleicht bringt es mehr, wenn ich mit ihr rede, sozusagen von Frau zu Frau«, mischte Jana sich ein.
»Mir soll es recht sein«, meinte Sadik verdrossen.
»Ich brauche Geld«, sagte Jana.
Tobias drückte ihr seinen Geldbeutel in die Hand. »Zahl ihr einen anständigen Preis für den Koran, aber lass dich nicht übers Ohr hauen!«
»Im Feilschen macht mir keiner etwas vor«, versicherte sie mit einem zuversichtlichen Lächeln. »Und nun geht besser eine Etage tiefer, damit sie euch erst gar nicht mehr zu Gesicht bekommt.«
»Wir drücken dir die Daumen, Jana.«
»Wird schon klappen.«
Sadik und Tobias begaben sich ein Stockwerk tiefer und setzten sich auf die Treppe. Sie
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