Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Gaspard.
Tobias sah das hasserfüllte Gesicht eines Reiters, der seinem Pferd die Sporen gab und direkt auf sie zuhielt. Er wollte sie über den Haufen reiten!
»Jana!« Er packte sie am Arm und wollte sie zu sich an die Hauswand reißen.
In dem Moment war der Kavallerist schon heran. Sein Stiefel fuhr aus dem Steigbügel. »Aus dem Weg, Pöbel und Zigeunerpack!«, schrie er und trat zu.
Jana schrie auf, als der Stiefel sie an der linken Schulter erwischte. Sie wurde Tobias’ Griff entrissen, um ihre eigene Achse herumgewirbelt, stürzte zu Boden und gab einen zweiten gellenden Schmerzensschrei von sich. Mit schadenfrohem Gelächter ritten die Soldaten an ihnen vorbei.
Tobias griff zum Florett und wollte blankziehen. Doch Sadik schlug ihm die Hand blitzschnell vom Griffstück der Waffe und zischte warnend: »Sei kein Selbstmörder! Damit ist keinem geholfen!«
»Gemeine Lumpen!«, schickte Tobias den Soldaten mit ohnmächtiger Wut hinterher.
Stöhnend und mit Tränen in den Augen richtete sich Jana auf. Tobias kniete sich sofort zu ihr. Sadik tastete ihre Schulter ab. Der brutale Stiefeltritt hatte glücklicherweise keine Knochen gebrochen. Doch die Prellung, die sie sich dabei zugezogen hatte, war mindestens genauso schmerzhaft. Zudem hatte sie sich beim Sturz auch noch den rechten Knöchel verstaucht.
Tobias stützte sie. Doch sie kamen jetzt nur noch sehr langsam voran. Der Weg zurück auf die andere Seite der Seine wurde ihnen allen sehr lang. Ganz besonders aber Jana. Sie biss sich fast die Lippen wund, um nicht vor Schmerz laut zu stöhnen. Doch die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, setzten Tobias viel mehr zu, als wenn sie ihre Schmerzen laut kund getan hätte.
Er hatte auf einmal Angst. Seine Angst, die mehr einer dunklen
Ahnung glich, hing direkt mit dieser übervölkerten, verwinkelten Stadt zusammen. Paris erschien ihm wie ein finsteres Labyrinth aus Elend, Dreck und Gewalt, in das sie sich immer tiefer verirrten.
Wo war der Koran?
Und wo war Zeppenfeld?
Barrikadenkämpfe
Das Zimmer war in Halbdunkel getaucht. Doch hinter den Gardinen zeichnete sich das helle Rechteck des Fensters ab, auf dem die Morgensonne stand. Verschlafen richtete sich Tobias im Bett auf. Irgendetwas hatte ihn geweckt. Doch im Haus war es still. Es musste daher noch früh am Tag sein.
Da war es wieder, das Geräusch, das ihn aus dem Schlaf geholt hatte! Ein Klirren der Fensterscheibe! Als ob jemand mit kleinen Steinen warf!
Tobias schwang sich aus dem Bett, trat zum Fenster und schob die Vorhänge zurück. Er kniff die Augen vor dem hellen Sonnenlicht zusammen und spähte in den Garten hinunter.
»Was ist?«, fragte Sadik, der nun ebenfalls aufgewacht war, verschlafen.
»Gaspard! Ich soll zu ihm kommen! Er hat wohl eine wichtige Nachricht für uns!« Tobias gab ihm ein Zeichen, dass er verstanden hätte und sich schnell anziehen würde.
»Dann lauf runter und hör dir an, was er so dringend loswerden will. Aber vergiss deinen Geldbeutel nicht. Der Bursche kennt seinen Wert sehr genau.« Sadik gähnte und streckte sich im Sitzen, während Tobias hastig in Kleider und Schuhe fuhr, sich zwei Hände voll Wasser aus der Waschschüssel ins Gesicht schlug und dann aus dem Zimmer huschte.
Er hatte angenommen, dass ihn Gaspard vor der Tür erwarten würde, doch da war er nicht. Er ging ums Haus. Gaspard stand nahe der Mauer bei zwei dichten Sträuchern und winkte ihn zu sich.
Als Tobias nur noch zwei Schritte entfernt war, griff er hinter sich ins Gebüsch, zog eine Muskete hervor und warf sie ihm zu.
Tobias fing sie auf und machte große Augen. »Heiliges Kanonenrohr! Wo hast du die denn her?«
Gaspard brachte noch eine zweite Muskete zum Vorschein. »Toll, was? Ich habe auch genug Pulver und Blei, um es mit der halben Schweizer Garde aufnehmen zu können!«, verkündete er stolz.
»Mein Gott, wo hast du die Waffen her?«, wiederholte Tobias seine Frage fast erschrocken.
»Während ihr in euren weichen Betten gelegen habt, habe ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen, wie übrigens viele andere auch. Da war ganz schön was los auf den Straßen heute Nacht, das kann ich dir sagen. Vor allem im Zentrum und drüben im Osten sind jede Menge neuer Barrikaden errichtet worden. Da hat so mancher Baum und manche Kutsche dran glauben müssen«, berichtete er voller Begeisterung. »Und dann haben wir im Faubourg Saint Antoine die Waffengeschäfte aufgebrochen und geplündert. Die Soldaten, die sich heute
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