Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
im Schritt zu verhalten.
Sie übernachteten im Freien. Wieder mit knurrendem Magen. Am nächsten Tag hatten sie zumindest so viel Glück, auf einen fahrenden Händler zu stoßen, der ihnen von seinen eigenen Vorräten Brot, Wurst und ein gutes Stück Käse verkaufte – zu einem Wucherpreis, da ihnen der Hunger sichtlich aus den Augen sprang.
Ihre Hoffnungen, im nächsten Dorf Pferde erstehen zu können, erfüllten sich nicht. Es standen keine zum Verkauf. Kein Ochsenfuhrwerk, kein Esel. Es war eine sehr arme, dünn besiedelte Gegend und Sadiks ungewöhnlicher Verband weckte bei der schon so Fremden gegenüber misstrauischen Landbevölkerung den Argwohn es mit finsteren Gesellen zu tun zu haben. Da half auch nicht der Zwicker auf Tobias’ Nase. In einem anderen Dorf hätten sie Pferde kaufen können. Doch der Bauer warf nur einen Blick auf Sadiks Verband und besann sich urplötzlich darauf, dass die beiden Braunen schon dem Huber Alois versprochen wären.
Und so marschierten sie weiter nach Westen. Sie hatten viel Zeit zum Nachdenken und Rätseln. Doch was Wattendorfs Gedicht zu bedeuten hatte, blieb weiterhin ein Rätsel. Insgeheim musste Tobias auch zugeben, dass ihn mittlerweile wohl die rechte Begeisterung verlassen hatte – und zwar mit jedem Kilometer mehr, den sie unter ihre Sohlen nahmen. Er war der tagelangen Landstreicherei, wie er es nannte, schlicht und einfach überdrüssig.
Als sie an die Grenze zum Großherzogtum Baden gelangten, schlugen sie einen Bogen um die Zollstation bei Neubronn und wechselten im Schutze der Nacht von Bayern ins Badische.
Es war tags darauf, als sie auf die Trompete von Jericho stießen. Das heißt, es war vielmehr umgekehrt.
Nepomuk Mahn war es, der auf sie stieß.
Sadik und Tobias lagerten im Schatten einer Weide am Wegesrand und hatten gerade ihr karges Mittagsmahl verzehrt, als ein Kastenwagen durch den Hohlweg fuhr.
Das Rumpeln des Wagens weckte Hoffnungen in Tobias. »Ob er uns vielleicht ein Stück mitnimmt?«, fragte er mit einem sehnsuchtsvollen Unterton.
»Wer nicht fragt, bleibt dumm«, gab Sadik zur Antwort.
»Aber auch wenn Fragen dumm machen würden, ich würde jeden fragen, der nicht zu Fuß daherkommt!« Tobias sprang auf, setzte schnell den Zwicker auf die Nase und trat an die Landstraße.
Es war ein Wagen, wie Jana ihn besaß, nur nicht so bunt bemalt. Der schmutzig braune Anstrich blätterte schon überall von den Brettern der Wände. Der einzige Farbfleck war das schwarze Tuch, das auf die Wagenseite genagelt war und dessen leuchtend rote Aufschrift verkündete: Bruder Nepomuk – Die Trompete von Jericho!
Die Trompete von Jericho war ein untersetzter, stämmiger Mann von unbestimmtem Alter. Er konnte genauso gut Ende Dreißig wie auch Anfang Fünfzig sein. Sein Gesicht war ausgesprochen knochig, spitz die Wangenknochen, wie ein Keil die Kinnpartie, ein kantiger Bogen die Nase und tiefe Höhlen die Augen. Und doch strahlte dieses Gesicht eine ansteckende Fröhlichkeit aus.
Bruder Nepomuk trug einen schwarzen, altmodischen Anzug, der seine besten Zeiten vor ein paar Jahren gesehen hatte – und die bestimmt nicht auf dem Kutschbock eines solchen Wagens! Das Gleiche galt für den schwarzen Zylinder, der aber so staubbedeckt war, dass er von weitem eher grau schimmerte.
Tobias hob die Hand um ihn zum Anhalten zu bewegen, wozu es nicht viel bedurfte, denn eilig hatte es diese seltsame Gestalt nicht.
»Gott zum Gruße, mein Sohn!«, rief er ihm zu und zügelte das ungepflegte Pferd, das seinen Wagen zog. Seine Augen, die einen sehr wachen Blick hatten, gingen von ihm zu Sadik und dann wieder zu ihm zurück.
»Guten Tag, der Herr …«, grüßte Tobias.
»Nicht Herr, mein Sohn!«, tadelte ihn der Mann, lächelte jedoch dabei und fuhr mit der Stimmkraft eines routinierten Redners schwungvoll fort: »Es gibt nur einen Herrn und das ist der Heiland, Jesus Christus, unser Erlöser! Ich bin nur sein bescheidener, kniefälliger Diener, sein williges Werkzeug und für dich, mein Sohn, wie für alle Sünder dieser Welt, Bruder Nepomuk Mahn. Der Name schon von Geburt an Sendung und Programm! Nepomuk Mahn – Die Trompete von Jericho! Die mahnende Stimme des HERRN in der Gottlosigkeit von Babylon! Und Babylon ist heute überall, mein junger Freund. Doch der HERR wird richten, wer dem Götzen dient statt dem Wort Gottes zu folgen!«
»Dann sind Sie Wanderprediger?«, stellte Tobias fest und wusste nicht, ob er belustigt oder beeindruckt sein sollte. Er war
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