Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
beides zu gleichen Teilen.
»Ich bin Gottes Biene, die das heilige Wort auch zur unscheinbarsten Blume bringt, fern der großen Äcker und Felder der Menschheit, die meine Glaubensbrüder von der Kanzel ihrer Kirchen herab beackern! Meine Kanzel ist der Kutschbock, mein Sohn!«, erklärte er pathetisch. »Von Berlin bis München bin ich bekannt als die Trompete von Jericho! Der große Evangelist, der den prächtigen Gotteshäusern und Kathedralen, den Tempeln der Pracht, abgeschworen hat und das Wort Gottes unter dem Himmel des HERRN verkündet! Bruder Nepomuk Mahn, der übers Land zieht, um Gottes Herrlichkeit auch zum einsamsten Schafhirten und zum entlegensten Hof zu bringen! Denn ich bin das Licht und die Stimme, spricht der HERR, und diese Welt der Sünde wird einstürzen wie die Mauern von Jericho, wenn ihr euch nicht zum Heiland bekennt und von eurem gottlosen Leben abschwört! Halleluja!«
Er fasste unter den Kutschbock, holte eine verbeulte Trompete hervor und stieß hinein. Es klang, als blase ein aufgeregter Armeetrompeter zur Attacke. Nicht schön, aber laut und durchdringend.
Tobias wollte sich erst die Ohren zuhalten, hielt das aber nicht für geeignet, um das Wohlwollen dieses höchst merkwürdigen Wanderpredigers zu gewinnen. Als dieser die Trompete endlich wieder absetzte, sagte er scheinbar beeindruckt: »Da steckt wirklich was hinter, Bruder Nepomuk. Ein paar mehr von den Dingern und ich könnte mir vorstellen, dass die Mauern von Jericho einfallen.«
»Die Mauern von Jericho sind überall, mein Sohn! Die Trägheit und Gottlosigkeit der Menschen errichtet in jeder noch so kleinen Hütte himmelhohe Mauern. Doch ich bringe sie zum Einstürzen! Sie zerbröseln unter dem Wort des HERRN wie Sandkuchen zwischen meinen Fingern!«, verkündete er, nahm seinen Zylinder ab und entblößte eine hohe Stirn, die in eine Halbglatze überging.
»Könnten Sie uns vielleicht ein Stück mitnehmen, Bruder Nepomuk?«, kam Tobias nun zum Kern seines Anliegens.
Der Wanderprediger zog ein bunt geblümtes Taschentuch hervor und wischte sich die verschwitzte Stirn ab. »Wo soll es denn hingehen, mein Sohn?«
Tobias zuckte mit den Achseln. »Uns ist es gleich und jeder Ort recht, wenn es dort nur Arbeit gibt. Für heute wäre uns Bischofsheim schon weit genug.«
»Studiosus, mein Sohn?«, erkundigte er sich, seine Kleidung taxierend.
Tobias schüttelte den Kopf und gab sich betrübt. »Nein, Hauslehrer. Habe vor ein paar Tagen meine Anstellung verloren. Er auch«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf Sadik, der sich erhoben hatte. »War Knecht auf dem Hof.«
Bruder Nepomuks Blick blieb auf dem Florett hängen und seine Brauen gingen in die Höhe. »Du trägst das Schwert an deiner Hüfte, mein Sohn? Nicht gerade das passende Handwerkszeug für einen Scholar, will mir scheinen.« Er pulte unverhohlen in seiner Nase. »Schaut auch nicht nach billigem Trödel aus! Solltest es verkaufen. Bekämst eine hübsche Börse Geldes dafür. Bräuchtest dann auch nicht auf der Landstraße zu liegen und am Hungertuch zu nagen.«
»Oh, das Florett ist von meinem – Vater, Gott habe ihn selig.«
Nepomuk Mahn bekreuzigte sich. »Möge er in Frieden ruhen«, murmelte er salbungsvoll.
»Es war das Einzige, was er mir hinterlassen hat«, fuhr Tobias fort. »Ich könnte es nie verkaufen, egal, wie schlecht es mir ginge!«
»Wer das Schwert führt, stirbt durch das Schwert!«, mahnte ihn der Wanderprediger und musterte dann Sadik mit gefurchter Stirn. »Kein schöner Anblick, mein Sohn. Was ist mit seinem Gesicht?«
»Es hat auf dem Hof eine Rauferei gegeben. Mit dem ersten Knecht. Und da hat – Gabriel eine Pfanne voll heißem Fett abbekommen. Ohne Verband ist er deshalb noch schlimmer anzuschauen«, erklärte Tobias.
»So, so, eine Rauferei unter Knechten. Wohl um einen Weiberrock, was?«, fragte er augenzwinkernd. »Ja, ja, die lockende Frucht des Weibes! Sie kostete Adam das Paradies und seitdem jedem Mann den Seelenfrieden – sofern er nicht zu den wenigen Glücklichen zählt, denen der Segen eines gottesfürchtigen, untertänigen Weibes zuteil geworden ist.«
Tobias hatte den Eindruck, als versänke der Wanderprediger in ganz bestimmten Erinnerungen. Und was immer er auch darunter verstehen mochte, es entlockte ihm ein fast versonnenes Lächeln, gefolgt von einem schweren Seufzer.
»Was ist, Bruder Nepomuk? Nehmen Sie uns mit?«
Der Wanderprediger fuhr aus seinen Gedanken. »Gewiss, gewiss! Wie Jesus mit Sündern und
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