Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
muss«, sagte er aufgekratzt. »Komm, lass uns vor die Stadt gehen und ein ruhiges Plätzchen suchen, wo du dich unbemerkt umziehen kannst.«
Eine halbe Stunde später verschwanden sie hinter einem hohen Gebüsch. Tobias klappte den Koffer auf und holte die Sachen, die er auf dem Markt erstanden hatte, aus seinem Kleidersack. »Garderobenwechsel, Sadik!«
»Tobias, bitte! Das kannst du mir nicht antun!« Er verlegte sich aufs Flehen.
»Tut mir leid, Sadik, aber es muss sein!«
»Du stellst unsere Freundschaft auf eine harte Probe!«
»Hast du gestern nicht selber gesagt, dass uns etwas ganz Besonderes einfallen muss, um unsere Spur zu verwischen?«, hielt ihm Tobias vor. »Mir ist etwas eingefallen, wie du siehst. Und sage nicht, es würde nicht funktionieren! Also stell dich nicht so an!«
Sadik blickte drein, als wäre er den Tränen nahe. »Ich habe nichts gegen eine Verkleidung, Allah und seine Propheten sind meine Zeugen!«, rief er, und dann brach es beschwörend aus ihm heraus: »Aber doch nicht als Weib, Tobias!«
»Es ist nicht irgendeine Frauenrolle, die du spielen sollst, Sadik«, erwiderte Tobias sanft, »sondern die einer trauernden Witwe, die ihr von Gram gezeichnetes Gesicht hinter einem dichten schwarzen
Schleier verbirgt.«
»Aiwa, das sehe ich, aber Weiberrock bleibt nun mal Weiberrock!«
»Weißt du überhaupt, wie schwer es war, einen einigermaßen preiswerten schwarzen Hut mit passendem Schleier zu finden? Und dazu auch noch schwarze Frauenschnürschuhe und Handschuhe? Du solltest froh sein, dass ich die Sachen aufgetrieben habe.«
»Aber ich kann doch nicht als trauernde Witwe über die Volksfeste ziehen!«, wandte Sadik ein.
»Erst mal müssen wir nach Hessen-Darmstadt kommen. Wenn du diese Sachen trägst, können wir die Kutsche nehmen. Ich spiele dann den Neffen, der seine Tante zum Begräbnis ihres Mannes begleitet. Niemand wird Fragen stellen und uns belästigen. Wir fahren also schnell und bequem zur Grenze. Und was noch viel wichtiger ist: Unsere Spur wird sich hier in Munderheim verlieren. Damit haben wir Zeppenfeld erst mal vom Hals!«
»Du verlangst viel von mir, Tobias!«
»Ja, aber hast du nicht mal gesagt, es sei besser, ein Hund zu sein, der frei herumlaufen kann, als ein Löwe, der liegen bleiben muss?«
Ein gequältes Stöhnen entrang sich Sadiks Kehle – und er gab seinen Widerstand auf. Die Vorteile dieser Verkleidung lagen eindeutig auf der Hand. Sie würden unbehelligt reisen können. Wie konnte er sich da noch länger sperren?
Er entkleidete sich bis auf die Leibwäsche, fuhr in die Unterröcke und zog dann das lange schwarze Kleid mit der hohen Halskrause und der doppelten Knopfleiste auf der Brust an. Es war ihm ein wenig weit, wie auch die Schuhe. Tobias riss aus einem Tagebuch kurzerhand ein halbes Dutzend leere Seiten, die zumindest das Problem der zu großen Schuhe notdürftig lösten. Hut und Handschuhe passten dagegen einwandfrei.
Tobias musste sich ein Grinsen verkneifen, als er Sadik so vor sich stehen sah. »Dein Gesicht gereicht einer trauernden Witwe zur Ehre. Dennoch solltest du es besser hinter dem schwarzen Schleier verbergen.«
»Noch ein Wort des Spottes und ich habe die längste Zeit eine Witwe gespielt!«, knurrte Sadik.
»Du wirst dich auch in Schweigen hüllen müssen«, ermahnte ihn Tobias und packte all ihre Sachen in den großen Koffer. Das Florett wickelte er in eine Decke und klemmte es zwischen die Lederriemen, mit denen der Koffer zusätzlich verschnürt wurde.
»Mir ist auch nach nichts anderem zumute«, erwiderte Sadik verdrossen.
Sie gingen zurück in die Stadt, quartierten sich in einem ruhigen Gasthof ein und nahmen am folgenden Morgen die Postkutsche nach Oggersheim. Von dort ging es weiter zur Grenze nach Hessen-Darmstadt. Sadik spielte seine Rolle als Witwe zufrieden stellend. Er sprach kein Wort und hielt sein Gesicht peinlichst hinter dem Schleier verborgen. Doch sich halbwegs wie eine Frau zu bewegen gelang ihm nicht.
Als sie an einem schwülen Abend nach einer langen, staubigen Fahrt verschwitzt die Station in Frankenthal erreichten, konnte er nicht schnell genug die Kutsche verlassen. Und statt abzuwarten, dass Tobias vor ihm ausstieg und ihm hilfreich seine Hand reichte, wie es eine Tante von ihrem aufmerksamen Neffen erwarten durfte, raffte er ungeduldig seine Röcke und sprang hinaus.
Tobias sah die Verblüffung auf den Gesichtern ihrer Mitreisenden. »So ist sie auch zu Hause auf dem Hof«, sagte er
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