Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
entschuldigend. »Eine Bäuerin muss mit festen Beinen auf dem Boden stehen, sagt sie immer.«
»Fürwahr, das tut sie!«, entfuhr es einem Mann beeindruckt.
Tobias folgte seinem arabischen Freund nun schnell, packte ihn scheinbar fürsorglich am Arm und zog ihn in den dämmrigen Schankraum. »Bist du noch zu retten, so aus der Kutsche zu springen?«, zischte er ihm zu.
»Ich musste aus dem Käfig raus! Zehn Wochen auf dem Rücken eines Kamels bei Wüstenhitze ertrage ich besser als eine Tagesfahrt, eingepfercht in diesem Kasten!«
»Aber du kannst doch nicht herausspringen! Himmelherrgott, du bist eine trauernde Witwe! Willst du vielleicht das Misstrauen der Leute wecken?«
»Hölle und Verdammnis, du hast gut reden! Ich ersticke unter dem verdammten Hut und Schleier! Und die Handschuhe jucken. Außerdem habe ich ständig das Gefühl die Schuhe beim nächsten Schritt zu verlieren!«
»Man flucht nicht, wenn man Trauer trägt!«
»Genug getrauert! Ich fühle mich allmählich selber schon wie begraben!«, beklagte sich Sadik bitterlich. »Mir reicht dieses Affentheater mit dem Weiberkram! Wir sind jetzt schon nahe genug an der Grenze. Auf die Kutsche sind wir nicht mehr angewiesen. Den Rest bringen wir zu Fuß hinter uns.«
»Sadik, bitte!«, versuchte Tobias ihn umzustimmen. »Einen Tag hältst du doch noch durch.«
»La! Ausgeschlossen! Nicht mal mehr eine Stunde ertrage ich das Zeug an meinem Körper!«, sagte Sadik störrisch. »Hol den Koffer und lass uns gehen. Wir werden die Nacht im Wald verbringen!«
Tobias schaffte es nicht, ihn umzustimmen. So holte er ihren Koffer, ließ beiläufig verlauten, dass seine Tante die Nacht in einem weniger stark besuchten Gasthof zu verbringen wünschte, und machte sich auf den Weg.
Sie verließen Frankenthal in westlicher Richtung und gingen dabei am Ortsausgang an einer Kirche vorbei. Als Sadik kurz im Schritt innehielt, folgte Tobias dem Blick des Arabers. Er sah zu ihrer Rechten ein schmuckes Pfarrhaus mit einem weitläufigen Garten, der von einer hüfthohen Mauer umgeben war. Eine korpulente, ältere Frau hängte gerade Wäsche auf.
»Ist was, Sadik?«
»Nein, nein«, gab dieser zur Antwort und ging weiter. »Sehen wir zu, dass wir nicht weit von hier einen Lagerplatz finden.«
»Ich dachte, du wolltest noch weiter zur Grenze?«
»Alles zu seiner Zeit. Erst mal muss ich diese grässlichen Kleider vom Leib kriegen.«
Als sie sicher sein konnten von niemandem beobachtet zu werden, folgten sie einem schmalen Feldweg, der von der Landstraße abzweigte, und schlugen sich einen halben Kilometer weiter ins Gebüsch. Sie stießen bald auf ein idyllisches Plätzchen an einem kleinen Bach, wo sie sich zu dieser Abendstunde vor Überraschungen sicher fühlen konnten.
Mit einem erlösten Aufatmen riss sich Sadik den Hut mit dem dichten Schleier vom Kopf und schleuderte die Schuhe von sich. »Endlich hat die Qual ein Ende!«
»Jetzt übertreibst du aber«, sagte Tobias, während er die Lederriemen des Koffers öffnete. »Diese Verkleidung hat uns bestimmt mehr gebracht als drei Tage im fliegenden Galopp.«
»Ein Trunk Wasser in der Heimat ist mir lieber als Honig in der Fremde«, brummte Sadik und zog wieder seine Sachen an.
»Mit Honig kann ich nicht dienen, aber wir haben noch Brot und Käse«, sagte Tobias und griff nach dem Beutel mit ihrem kargen Proviant. Wehmütig dachte er daran, dass die anderen Fahrgäste jetzt im Gasthof zu Tisch saßen und sich ein reichhaltiges warmes Essen munden ließen.
Sadik dachte jedoch weniger an Essen als an die rituellen Waschungen und Gebete, die er in den letzten Tagen gezwungenermaßen hatte vernachlässigen müssen. Eine trauernde Witwe, die eine Rast dazu nutzte, um auf einem handtuchschmalen arabischen Teppich niederzuknien und zu Allah zu beten, hätte auch dem Dümmsten verraten, dass mit dieser Person etwas nicht stimmte.
Nach den Waschungen verrichtete Sadik die fünf abendlichen rakats. »Allahu akbar! Allah ist am größten!«, rief er mit leiser Stimme und betete dann die erste Sure des Korans, die Al-Fatiha, die am Anfang eines jeden Gebetes steht.
Tobias war immer wieder aufs Neue von dem melodischen Singsang berührt, mit dem Sadik den Koran rezitierte. Der arabischen Sprache vermochte er ohne Schwierigkeiten zu folgen, denn Sadik hatte sie ihn gelehrt, und mittlerweile sprach er sie so gut wie die europäischen und althumanistischen Sprachen, in denen er auf Falkenhof seit Kindesbeinen an von Hauslehrern
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