Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Glasperlenvorhang geriet hinter ihnen mit leisem Klirren in Bewegung und ein brauner Kapuzenkopf schaute zu ihnen herein. »Es-salum ’alekum, Zigeunermädchen! Ah, da ist ja auch Unsinn – die Kreatur, von der Sihdi Heinrich behauptete, sie wäre ein Glückssymbol der Laoten, die Verkörperung ihres Gottes Wischnu!«
»Sadik!«, rief Jana freudig und verwundert zugleich. »Du auch hier?« Sie ergriff seine Hand und drückte sie in herzlicher Wiedersehensfreude. Dann sagte sie lachend: »Die Antwort ist Wasser, nicht wahr?«
Sadik schmunzelte. »Aiwa, Wasser ist die richtige Lösung. Ich wusste doch, dass du Tobias in diesen Dingen haushoch überlegen bist.«
Dieser sah verständnislos von ihr zu Sadik. »Wasser? Wovon redet ihr?«
»Erinnerst du dich noch an das arabische Rätsel, das Sadik mir zum Abschied mit auf den Weg gegeben hat?«, erklärte Jana ausgelassen. »›Lässt sterben, bringt ans Leben und ist selber tot. Geht ohne Fuß in jede Richtung, bald wird es gesehen unten auf der Erde, und bald siehst du es erhaben in den Wolken.‹ So lautete das Rätsel, das er mir aufgegeben hat. Und er sagte, ich müsste schon ein halbes Beduinenmädchen sein um es zu lösen.«
Sadik nickte belustigt. »Nun ja, du hast auch einiges an dir, was einem Beduinenmädchen alle Ehre machen würde«, sagte er wohlwollend.
Jana wurde erst jetzt bewusst, wie merkwürdig Sadik gekleidet war. Stirnrunzelnd fragte sie: »Aber sag mal, warum trägst du denn eine Mönchskutte? Und wie kommt ihr nach Osthofen? Was führt euch hierher und so weit weg vom Falkenhof?«
»Zeppenfeld«, antwortete Tobias knapp.
Die Freude verschwand von Janas Gesicht und wich tiefer Besorgnis. »Zeppenfeld?«, wiederholte sie erschrocken. »Hat es mit dem merkwürdigen Falkenstock zu tun, den er dir stehlen wollte?«
Tobias nickte düster.
»Um Gottes willen, was ist passiert? Hat er ihn an sich gebracht?«
»Nein, das ist ihm zum Glück nicht gelungen. Aber passiert ist viel. Wir sind auf der Flucht und Onkel Heinrich ist in Mainz im Kerker. Doch das ist eine lange Geschichte.«
Betroffenheit zeigte sich in Janas dunklen, flaschengrünen Augen. »Wir gehen in den Wagen. Dort sind wir ungestört«, sagte sie, sammelte rasch die Tarotkarten ein, steckte sie in die Tasche ihrer weiten braunen Hose, die sie über ihren Schnürstiefeln zugebunden hatte, und nahm die Lampe vom Tisch. Als sie das Zelt verließen, kletterte Unsinn an ihr hoch und setzte sich auf ihre Schulter. Doch kaum standen sie am Wagen, da sprang er mit einem Satz auf den Kutschbock und war im nächsten Moment schon hinter dem einfachen Teppich verschwunden, der vor dem Durchgang ins Wageninnere hing.
Der Kastenwagen war von innen geräumiger, als es von außen den Anschein hatte. Rechter Hand befand sich eine Schlafkoje, darüber Regale und einfache Haken, an denen Kleidungsstücke, Kochutensilien und kleine Leinensäcke mit verschiedenstem Inhalt hingen. Links vom Mittelgang zog sich eine Sitzbank über die gesamte Länge des Wagens. Als Tisch diente eine einfache Platte, die links an der Wand mit Scharnieren befestigt war und je nach Bedarf hoch- oder heruntergeklappt werden konnte.
Tobias und Sadik nahmen rechts und links von der Tischplatte auf der Bank Platz, während Jana sich ihnen gegenüber auf die Schlafkoje setzte. Unsinn kuschelte sich am Kojenende in die Ecke.
»Erzählt!«, forderte Jana sie auf und schaute sie mit angespanntem Gesicht an. »Was ist auf Falkenhof geschehen? Und wie kommt es, dass ihr auf der Flucht seid?«
Sadik warf Tobias einen auffordernden Blick zu.
Und Tobias begann zu erzählen. Er berichtete ihr von seiner Entführung und dem Kampf in der Hütte des Köhlers, von seiner Flucht und Zeppenfelds gemeiner Intrige, die zur Aufdeckung des Geheimbundes und zu zahlreichen Verhaftungen geführt hatte – und die seinem Onkel fast das Leben gekostet hätte.
Jana ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten und stieß einen grimmigen Fluch aus, als sie hörte, dass Sadik den verletzten Gelehrten nur mit Mühe und Not aus Mainz hatte herausbringen können. Doch sie unterbrach ihn nicht mit Fragen, sondern hing wie gebannt an seinen Lippen. Fast atemlos lauschte sie seinen Worten, als er von ihrer gelungenen Flucht im Ballon erzählte und den gefährlichen Abenteuern, die sie danach erlebt hatten.
»Wir hatten Glück, dass wir Zeppenfeld und seinem Gesindel am Neckar noch um Haaresbreite entwischt sind. Es hätte wirklich nicht viel
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