Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
fast geplatzt wäre und dich für völlig übergeschnappt hielt«, gab Tobias zu.
»Ich weiß, aber du hast dich gut im Griff gehabt«, lobte Sadik ihn. »Du machst Fortschritte.«
»Nur Fortschritte?«, wiederholte Tobias enttäuscht. »Ich dachte, ich hätte mich bewundernswert beherrscht!«
»Dass man sich die Tugend der Selbstbeherrschung aneignet, ist nicht das eigentliche Ziel, sondern das Mittel zum Zweck. Das Ziel ist erst erreicht, wenn man die Selbstbeherrschung eines Tages nicht mehr nötig hat«, belehrte Sadik ihn. »Aber in deinem Alter wäre das zu viel verlangt. Und nun lass uns zu Tambour gehen und Abschied von ihm nehmen.«
Dieser machte aus dem Abschied eine wild bewegte Szene. Sie wäre der Bühne eines jeden Provinztheaters, das sein Publikum mit Rührstücken unterhält, würdig gewesen. Dass ihn immer wieder der Abschiedsschmerz übermannte und er meinte, sie der Reihe nach noch ein drittes und viertes Mal an sich drücken zu müssen, hatten sie zweifellos seiner Schwärmerei für Jana zu verdanken. Tobias bemerkte sehr wohl, dass er Sadik und ihn schnell wieder freigab, um sich umso intensiver Jana widmen und ihr noch einen Abschiedskuss auf die Wangen schmatzen zu können. Sie ließ es jedoch wortlos und mit einem Lächeln über sich ergehen, das viele Deutungsmöglichkeiten zuließ. Später gestand sie ihm, dass sie ihm trotz seines Hangs, sie zu tätscheln, nicht böse sein konnte und dass er ihr Leid täte, weil er sich mit so einer Leibesfülle selbst um viele Freuden des Lebens brachte, worauf Tobias rot wurde und froh war, dass Unsinn sich in seinem Käfig bemerkbar machte und Janas Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
Tambour gab ihnen noch einen Proviantkorb mit, der bis zum Rand mit Köstlichkeiten gefüllt war. Er nahm ihnen allen das Versprechen ab, Tambour und das Coq D’ore in Tinville nicht zu vergessen – ein Versprechen, das sie ihm guten Gewissens geben konnten, denn sie hatten Gründe genug, diese vier Tage in der Hafenstadt nicht zu vergessen.
Sadik drängte zum Aufbruch. Er nahm neben Moustique auf dem Kutschbock Platz und lenkte die Kutsche nach dessen Anweisungen, während Gaspard die letzten Meilen gemeinsamen Weges im Wagen mit Tobias und Jana verbrachte. Es war abgemacht, dass Gaspard die Kutsche nach Paris zurückbrachte, was dieser sich ohne weiteres zutraute, und für eine feste Stellung im Zeitungsverlag von Monsieur Roland war gleichfalls gesorgt. Irgendwann würde man sich auch Wiedersehen, wie Jana und Tobias von Herzen beteuerten. Doch wann würde das sein? In wie vielen Jahren?
So herrschte wegen der bevorstehenden Kanalüberquerung und der baldigen Trennung eine gleichermaßen aufgeregte wie traurige Stimmung und sie redeten nicht viel.
Indessen zog das Gewitter näher. Ein frischer Wind fuhr durch die Straßen und wirbelte Staub und Abfälle die Gassen hinunter und um die Ecken. Und dann prasselten die ersten dicken Tropfen so laut wie Kieselsteine auf das Dach der Kutsche.
Jana und Tobias sahen sich an, und beide dachten dasselbe – nämlich dass die Überfahrt kaum ein reines Vergnügen sein würde!
Pegasus und Regulus
Ein sandiger Weg führte in die schmale, einsame Bucht hinunter. Die Kutsche rumpelte über dicke Wurzeln und Felsbrocken, die den zweifellos selten befahrenen Weg wie dicke Adern durchzogen.
Sadik hielt die Grauschimmel am kurzen Zügel, denn auf den letzten hundert Metern wies der Hang doch eine starke Neigung auf.
Das Unwetter fegte über Küste und See und ließ die Nacht hinter einem dichten Regenschleier verschwimmen. Zumindest war der Regen warm, Allah sei Dank!
Moustique streckte die Hand aus und deutete zum Strand, wo sich in der regengetränkten Dunkelheit die schemenhaften Umrisse von vier Gestalten neben einem Boot abzeichneten. »Da sind sie!«, rief er erleichtert, als hätte er befürchtet, Leon könne es sich noch einmal anders überlegt und sie kurzerhand versetzt haben.
Sadik nickte nur, hatte er die Männer und das Beiboot der Alouette doch schon längst bemerkt. Er ließ die Kutsche am Fuß des Hangs ausrollen, zog dann die Bremse an und wickelte die Zügel um die Halterung, in der die Peitsche steckte. Es trennten sie noch gut fünfzig Schritt von der Brandungslinie, wo die Männer der Alouette auf sie warteten. Es war jedoch nicht ratsam, sich mit der Kutsche weiter vorzuwagen, wollte er nicht riskieren, dass sich die Räder tief in den Sand eingruben.
»Sag ihnen, dass wir sofort kommen und
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