Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
habe. Natürlich hätte ich sein Schreiben aufbewahren und mich mit Siegbert und Jean in Verbindung setzen sollen, um zu erfahren, was sie davon hielten. Aber nicht jeder ist dazu geboren, ein Tarafa zu sein.«
Sadik nickte wissend.
Noch ehe Tobias und Jana fragen konnten, was es denn mit diesem Tarafa auf sich hatte, fuhr Rupert Burlington schon fort:
»Ich habe mich von meinen Gefühlen zu einem vorschnellen Urteil und damit zu einer ausgemachten Torheit hinreißen lassen. Aber als ich Wattendorfs Schreiben und sein scheinbar dümmliches Gedicht in den Händen hielt, überkam mich der Zorn. Erstens glaubte ich nicht an seine Geschichte von dem Verschollenen Tal, das er entdeckt haben wollte, und zweitens wollte ich mit ihm nichts zu tun haben. Deshalb war ich sogar versucht gewesen auch den Teppich zu verbrennen.«
»Seien wir dankbar, dass wenigstens das nicht geschehen ist«, tröstete sich Sadik.
»Aber Sie haben das Gedicht gelesen, nicht wahr?«, fragte Tobias, der noch nicht alle Hoffnungen, den Inhalt zu erfahren, aufgegeben hatte.
»Gewiss …«
»Es bestand aus drei Strophen?«
»Ja, richtig.«
»Und die erste lautete: ›Die Buße für die Nacht / Die Schande und Verrat gebar / Der Teppich hier darüber wacht / Was des Verräters Auge wurd gewahr‹?«
»In der Tat!«, rief Rupert Burlington verblüfft. »Woher wissen Sie das?«
»Es lag auf der Hand. Die erste Strophe des Gedichtes zum Falkenstock lautet genauso wie die zum Koran – bis auf ein einziges Wort. Das Gedicht, das mein Vater erhalten hat, hat in der ersten Strophe als dritte Zeile ›Der Falke hier darüber wacht‹, während es in Monsieur Rolands Gedicht an derselben Stelle ›Der Koran hier darüber wacht‹ heißt«, erklärte Tobias. »Somit brauchte man kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass in dem für Sie bestimmten Gedicht an derselben Stelle ›Der Teppich hier darüber wacht‹ stehen musste.«
»Das Rätsel selbst steckt stets in der zweiten und dritten Strophe«, sagte Jana. »Können Sie sich noch erinnern, wie die lauteten?«
Rupert Burlington teilte mit dem Monokel seinen Schnurrbart unter der Nase, während er sich zu erinnern versuchte. Eine geraume Weile verstrich. Dann schüttelte er den Kopf.
»Im Augenblick kann ich mich nur an Bruchstücke erinnern. Da war von Kartusche und Mäander die Rede … und von irgendetwas Heiligem … und einem See. Das ist alles, was mein Gedächtnis behalten hat. Zumindest kann ich mich im Moment an mehr nicht erinnern.«
»Kartusche, Mäander, etwas Heiliges und ein See«, wiederholte Tobias enttäuscht. »Damit werden wir leider wenig anfangen können.«
»Es tut mir Leid, aber ich habe das Gedicht nur einmal gelesen. Es klang mir sehr wirr und ohne jeden Sinn, was für das Erinnerungsvermögen natürlich wenig zuträglich ist. Ich wünschte, ich hätte ein solch phänomenales Gedächtnis wie Sie, Tobias. Siegbert hat mir davon berichtet. Aber bedauerlicherweise gehört es nicht zu meinen Stärken, etwas wortwörtlich zu behalten, was ich nur einmal kurz überflogen habe.«
»Die Erinnerung ist zeitweilig wie eine verborgene Quelle im Wüstensand. Manchmal muss man tief graben und viel Sand wegschaufeln, bis es einem plötzlich klar und frisch entgegensprudelt«, sagte Sadik. »Und jetzt, da Sie wissen, wie wichtig jede Zeile, ja sogar jedes Wort ist, an das Sie sich erinnern können, lohnt es sich, in der scheinbaren Wüste des Vergessens nach dem verborgenen Quell Ihres unterbewussten Wissens zu suchen.«
»Sie können sicher sein, dass ich genau das tun werde.«
Noch lange saßen sie am Tisch und redeten über jene unglückliche Expedition, die den wahren Charakter von Zeppenfeld und Wattendorf zum Vorschein gebracht und offenbar zur Entdeckung des Verschollenen Tals geführt hatte, von dem in so vielen Geschichten der Beduinen die Rede war.
»Heben wir uns einige Mutmaßungen und Fragen für morgen und übermorgen auf«, machte Sadik dem nächtlichen Gespräch schließlich ein Ende, als Tobias und Jana immer öfter ein Gähnen unterdrücken mussten. »Uns bleibt bis zur Rückkehr von Lord Pembroke Zeit genug, um uns über einiges Klarheit zu verschaffen, was für uns jetzt noch im Dunkeln liegt. Diese Tage der Rast und Ruhe werden uns bestimmt gut tun.«
»Wann immer Desmond zurückkommt, ich bestehe darauf, dass Sie erst nach dem Kostümfest abreisen!«, verlangte Rupert Burlington. »Ich wäre untröstlich, wenn Sie mir nicht die Ehre und Freude
Ihrer
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