Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Fahrt zum Metzger, Gemüsehändler und Bäcker, mit dem Bus hätte sie nämlich zu viel Zeit verplempert. Gegessen würde abends, Punkt sechs Uhr, weil die alten Leutchen das so gewohnt waren. Opa Armbruster hatte auch extra darauf hingewiesen, dass er nach dem letzten Linsenessen eines gewissen Herrn Walcher die Nacht im Wohnzimmer verbringen musste, weil seine Frau ihn des gemeinsamen Schlafzimmers verwiesen hatte.
Nach der Einkaufstour ging Walcher in sein Büro und überließ Irmi die Küche. Mittagessen, so hatten sie vereinbart, fiel aus. Wenn sie bei ihrer Vorbereitung Hilfe bräuchte, für niedere Dienste, dann könnte sie sich ja melden, hatte Walcher angeboten.
Nun las er erst einmal die Mails, zu denen er am Vorabend keine Lust mehr gehabt hatte. Auenheim erkundigte sich überaus höflich nach dem aktuellen Stand der Recherchen.
Wie ich von Herrn Inning erfuhr und den französischen Zeitungen entnahm, wurde ein großer Schlag gegen Menschenhändler im Burgund geführt. Gibt es bereits Einzelheiten über die Organisation, über Helfershelfer und vor allem natürlich auch über die Kunden? Wie ich Ihnen ja bereits darlegte – oder vergaß ich es zu erwähnen? –, plane ich zeitgleich mit der Veröffentlichung Ihres Dossiers, im Internet eine Prangerseite einzurichten, auf der die Namen, weltweit nach Nationen, aller angeklagten und verurteilten Kinderschänder aufgeführt werden, ebenso User von Kinderpornos und Menschenhändler.
Lieber Herr Walcher, mir liegt das Dossier sehr am Herzen, zögern Sie deshalb nicht, mir, wenn sie Ihnen wichtig erscheint, jedwede neue Information zukommen zu lassen. Glauben Sie mir, es geht nicht in erster Linie darum, meiner Zeitung zu höheren Auflagen zu verhelfen, es geht um Ethos und um gesellschaftspolitische Verantwortung. In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Günther Auenheim.
Warum reagiere ich auf diesen Mann ablehnend?, fragte sich Walcher. Klang immer noch sein erster Eindruck bei dem Auftragsgespräch mit Auenheim nach? Damals hatte der Verleger auf ihn wie der typische Unternehmererbe gewirkt: eitel, arrogant und rechthaberisch. Hatte ihn Auenheim zu sehr spüren lassen, dass er der Boss und Walcher der Lieferant, der Wasserträger war, ein beliebig austauschbarer noch dazu? Oder hatte ihn Auenheims Selbstverständnis gestört, mit dem dieser sich als legitimer Hüter und Motor für kulturelle und gesellschaftspolitische Veränderungen sah?
Von »Ethos und gesellschaftspolitischer Verantwortung« schrieb er in der Mail, und eine Prangerseite wollte er einrichten, der Verlagserbe. Endlich etwas unternehmen gegen den Sumpf in der Gesellschaft. Das war es! Walcher glaubte, sich dem Zentrum seiner Antipathie zu nähern. Platzhirsch! Genetisch angelegter Konkurrenzkampf um die Führungsrolle. Männer brauchen Beweise, sonst erkennen sie die Überlegenheit des anderen nicht an. Nur weil einer einen Verlag geerbt hatte, war er noch lange nicht der Boss.
Trotzdem schrieb er an Auenheim eine ebenso höfliche Antwort, vermutlich gab es auch ein Ur-Gen, das wirtschaftliche Abhängigkeiten regelte. Bei diesem Gedanken musste er lächeln.
Sehr geehrter Herr Auenheim, die Aktion im Burgund kann keineswegs als erfolgreich bezeichnet werden, sie hat der Organisation bestenfalls eigene Sicherheitslücken aufgezeigt. Auf meine Recherchen bezogen war sie eher kontraproduktiv, denn die Verantwortlichen der »Niederlassung« im Burgund sind nicht mehr am Leben. Derzeit arbeitet die Polizei die ganze Hinterlassenschaft auf, in der Hoffnung, neue Ermittlungsansätze zu finden. Dennoch bin ich sehr positiv gestimmt. Wie häufig bei meinen bisherigen Recherchen, öffneten sich überraschende Informationsquellen und zeichneten neue Möglichkeiten auf; darüber zu berichten, wäre allerdings verfrüht. Was die Idee Ihrer Prangerseite betrifft, wie sie ja in manchen amerikanischen Kleinstädten bereits praktiziert wird, so bin ich dagegen. Die Geschichte lehrt uns, dass Gewalt, und um nichts anderes handelt es sich bei einem Pranger, nicht zu Verhaltensänderungen der Täter führt.
Außerdem empfinde ich den Verzicht auf diese Form der Lynchjustiz als eine der wesentlichen Entwicklungen unserer Zivilisation und Rechtsprechung. Vor allem, wenn es um Kindesmissbrauch geht, sind wir schnell dabei mit dem Ruf: An den Pranger mit ihm – sperrt ihn weg – entmannt ihn – hängt ihn auf! Auch ich fühle mich nicht frei davon. Aber bringt uns das weiter?
Weitere Kostenlose Bücher