Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Herrchen auf«, winkte Brunner zu – der heftig zurückwedelte und auf sein freies Ohr deutete – und hetzte mit wehendem Kleid zu ihrem Auto. Die Staubfahne, die sie hinterließ, hatte sich noch nicht gesenkt, als auch Brunner zu seinem Wagen rannte.
»Wenn die getürkt ist«, hielt er die wieder entrollte Sichthülle hoch, »dann kann ich mich wirklich auf was gefasst machen. Das wird ein Riesenspektakel«, brüllte er, »ich melde mich wieder.«
Walcher nickte und rief zurück: »Der Gärtnerjob ist immer drin, aber nur, wenn Sie mir eine Kopie der Liste geben, immerhin fand die Übergabe auf meinem Hof statt und Dr. Hein ist mein Kontakt!«
Brunner nickte, dann war auch er fort. Walcher blieb auf der Bank sitzen und überlegte, warum Frau Dr. Hein ihnen diese brisante Liste übergeben hatte und nicht der Münchener Polizei, zu der sie sicher seit langem Kontakt hatte. Er konnte es sich nicht erklären, höchstens mit ihrer Sympathie für Brunner und ihn. Dann haderte er mit sich, weil er die Liste nicht gleich kopiert hatte. Sein Vertrauen zum Kommissar war zwar groß, aber er war Journalist, und Informationen waren sein Kapital. Solche Fehler ärgerten ihn. Missmutig ging er in sein Arbeitszimmer und startete, um sich abzulenken, den Computer. »Kindesmissbrauch« tippte er als Suchbegriff in das News-Portal und überflog die aktuellen Tagesmeldungen. Es gab europaweit sechs rechtskräftige Gerichtsurteile und Ermittlungen gegen Pädophile und Pornohändler. Er druckte die Artikel aus und heftete sie in seinem nunmehr dritten Ordner ab, in dem er Mitteilungen sammelte, die mit diesem Thema zu tun hatten. Die ersten zwei Ordner waren erschreckend rasch voll gewesen, obwohl er erst vor kurzem mit der Artikelsammlung begonnen hatte.
Stiefvater missbrauchte vierjährige Tochter seiner zweiten Ehefrau. 17 Pädophile tappen in Lockvogel-Falle der Polizei. Rentner missbrauchte Kinder aus der Nachbarschaft, die ihm die Eltern arglos anvertrauten. Einschlägig Vorbestrafter gestand »Sexspiele« mit Minderjährigen …
Jedes Mal las er fassungslos die Flut täglicher Horrormeldungen, und dabei handelte es sich nur um die Spitze eines riesigen Eisbergs. Walcher nannte die tägliche Sammlung seine Schmerzstunde, es gelang ihm nämlich nicht, dabei seine Emotionen zu unterdrücken. Immer wieder sah er Kinder vor sich, die sich voller Vertrauen in die Hände Erwachsener ergaben.
Seine Stimmung hellte sich an diesem Tag erst wieder auf, als das Fax ansprang und er auf der ersten Seite in einer ihm bekannten krakeligen Handschrift las: »Hier die Kopien. Läuft alles gut an, wird vermutlich eine deutschlandweite Aktion. Melde mich, sobald ich genauere Info habe. Brunner.«
Siegesfeier
Sie hatten mehr getrunken, als die Polizei erlaubte, wie Brunner zutreffend bemerkte. Vier Tage nach ihrem Treffen mit Frau Dr. Hein stand der Kommissar unangemeldet am späten Nachmittag vor Walchers Tür, eine Magnum Deutz & Geldermann Brut in der Hand, und verkündete: »Jetzt wird gefeiert.«
Beim ersten Glas begann er mit sichtbar stolz geschwellter Brust von der größten Blitzaktion zu berichten, die jemals in Deutschland gegen illegale Bordelle, Zuhälter und Menschenhändler durchgeführt worden war – und zwar zeitgleich in 64 Städten, mit einem Polizeiaufgebot von insgesamt über 4000 Einsatzkräften. Walcher tat so, als wäre über diese Aktion nicht in allen Medien ausführlich berichtet worden.
»Hätte nie geglaubt, dass wir das nach nur zwei Tagen Vorbereitungszeit durchziehen können. Fast alles, was auf der Liste stand, haben wir ausgehoben«, strahlte Brunner. »Insgesamt 232 Männer wurden verhaftet, die meisten davon aus östlichen Ländern. 146 Frauen im Alter knapp über achtzehn Jahre, 377 Frauen knapp unter achtzehn und 78 Mädchen unter sechzehn Jahren wurden befreit. Dazu kommen noch 12 Jungen unter sechzehn Jahren. Man muss sich das mal vorstellen, über 600 Menschen wurden in schäbigen Absteigen versteckt gehalten und zur Prostitution gezwungen, mitten unter uns.« Brunner schüttelte den Kopf. »Nur wenige der Frauen haben das freiwillig gemacht, die meisten wurden mit den übelsten Methoden gezwungen, so viel ergaben bereits erste Verhöre. Viele wurden mit Versprechungen angelockt, Ausbildung, Jobs, Luxus und dergleichen, also erst einmal kamen sie freiwillig, aber dann wurden sie genauso behandelt wie die Entführten. Einige von ihnen hatte man den Eltern abgekauft. Abgekauft! Eltern verkaufen ihre
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