Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Bruder von Nikolas Bromadin vom selben Syndikat Zahlungen für seine Menschentransporte erhielt. Das wussten nur Ilija sowie die Verantwortlichen seiner verschiedenen dubiosen Sub-Unternehmen. Überhaupt unterteilte er sein Imperium in viele kleine Einheiten, die nur das Nötigste voneinander wussten. Einen wirklichen Vertrauten hatte Ilija in Mischa gehabt, seinem Freund seit Kindertagen, aber der war vor zwei Jahren tödlich verunglückt. Mischa, der zehn Jahre lang seine rechte Hand gewesen war, hatte ihm seinerzeit eindringlich davon abgeraten, »diese total durchgeknallte Adeligenhure« zu heiraten. Das hielt selbst eine so alte Freundschaft nicht aus. Ilija würde es zwar niemals zugeben, aber das war eine seiner schmerzhaftesten Fehlentscheidungen gewesen. Nicht die Heirat mit Reja-Mira, sondern der inszenierte Unfall, bei dem Mischa ums Leben kam. Mischa war ein Arbeitstier gewesen und außerdem ihm bedingungslos ergeben, ja er hatte Ilija regelrecht vergöttert und wäre für ihn durchs Feuer gegangen.
Rückreise
Die Stimmung der fünfzehn Mädchen im Bus war gedrückt. Drei Wochen lang waren die Zehn-bis Vierzehnjährigen verwöhnt worden und hatten ständig etwas geboten bekommen. Im Meer schwimmen, Segelkurse, Burgen bauen, Wattwanderungen, ein Tagesausflug nach Helgoland, Grillabende am Strand und vieles mehr hatte der Verein »Kinderhilfe Tschernobyl Wangerooge e. V.« den Mädchen, die unter den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe litten, spendiert. Die viele Bewegung an der frischen Meeresluft, die gute Ernährung und die unermüdliche und liebevolle Betreuung durch die Mitglieder des Vereins hatten den Mädchen sichtlich gutgetan.
Jetzt ging es wieder zurück, zurück in die Nähe von Minsk, dorthin, wo sie ein monotoner Alltag in einem heruntergekommenen Waisenhaus erwartete.
Sie waren doppelt gestraft, denn sie hatten nicht nur ihre Eltern verloren, sondern litten zudem als Opfer der Atomkatastrophe meist an Immunschwächeerkrankungen, Schilddrüsenkrebs oder Leukämie. Der Abschied von den Mitgliedern des Vereins, von den Ärzten und Helfern des Erholungsheims war herzlich und traurig zugleich. Während ihres Aufenthalts hatten die Kinder Zuneigung und Herzlichkeit erfahren, für sie bisher selten erlebte Wesenszüge von Erwachsenen. Ein allerletzter Ausflug war noch geplant, sie würden in Wilhelmshaven zu einer Hafenrundfahrt haltmachen. Deshalb fuhr der Bus auf dem Friesendamm zum Hafen. Dort empfingen zwei junge Männer in schicken blauen Kapitänsjacken die Mädchen und führten sie zu einer Motoryacht an einem der Kais für Rundfahrtboote.
Der Busfahrer und sein Beifahrer waren im Bus geblieben. Bei der Abfahrt in Harlesiel hatte niemand gefragt, warum es andere Busfahrer als auf der Hinfahrt vor drei Wochen waren. Auch kam es den Mädchen nicht sonderbar vor, dass ihr Boot so anders aussah als die anderen Rundfahrtboote mit ihren vielen Sitzplätzen an Deck und den Glasdächern. Auch die Enge an Bord, als alle fünfzehn Mädchen eingestiegen waren, störte sie nicht. Wer im Waisenhaus aufgewachsen ist, stellt keine großen Ansprüche.
Sie wunderten sich auch nicht über die seltsame Route, die das Boot nahm. Es fuhr aus dem Hafenbecken durch den Ems-Jade-Kanal direkt in den Jadebusen, dann in die Helgoländer Bucht und vorbei an den Ostfriesischen Inseln hinaus in die Nordsee.
Auch im Waisenhaus bei Minsk wunderte sich niemand über die Nachricht aus der Kreisverwaltung, der das Haus unterstellt war, dass die Wangerooger Ferienkinder künftig in einer Anlage bei Novogrudok untergebracht würden und deshalb die Sachen der Kinder zu packen und bereitzustellen seien. Ebenso wurde der Fahrer des Lastwagens, der zwei Tage später die Sachen abholte, nicht nach seinem Auftrag oder nach offiziellen Papieren gefragt. Warum auch? Was die Mädchen an persönlichen Gegenständen, Kleidern und Spielsachen besaßen, passte in zwei Kisten und war so gut wie wertlos.
Die Einzigen, die sich über den Verbleib der Mädchen Gedanken machten und sich wunderten, warum sie keine der versprochenen Postkarten von ihren kleinen Feriengästen erhielten, waren die Aktiven des Vereins »Kinderhilfe Tschernobyl Wangerooge e. V.«.
Dorothea Huber
Sie wolle nur Doro genannt werden, bat sie Walcher, Irmi und die Kinder zur Begrüßung, als sie, wie angekündigt, nachmittags am nächsten Tag auf den Hof gerattert kam. Alle halfen mit, ihre Sachen aus dem VW-Kombi – einem nicht mehr taufrischen Modell, mit
Weitere Kostenlose Bücher