Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
seine Büros von der Steuerfahndung durchsucht. Zwar traten die deutschen Beamten etwas höflicher auf als ihre Moskauer Kollegen, sie gingen aber nicht weniger gründlich vor. Und wie ein Flächenbrand ging es weiter, eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Frankreich, England, Italien, Schweiz, Österreich … seine einträglichsten Niederlassungen durchsucht, die Unterlagen beschlagnahmt, die Räume versiegelt.
Im Endeffekt bedeutete dies, dass sein Unternehmen stillgelegt war. Dargilew wusste aus Erfahrung sehr genau, über welche Zeiträume sich solche Untersuchungen hinziehen konnten. Er schickte deshalb seine Angestellten erst einmal in den Urlaub.
Auch aus Amerika kamen keine positiven Nachrichten, aber das wunderte ihn nicht. Er hasste die Amerikaner, sie hatten ihn als unerwünschte Person hinausgeworfen. Dass ihm das Gleiche nun in seinem geliebten Russland bevorstand, hatte er noch nicht erkannt oder wollte diesen Gedanken einfach nicht wahrhaben. Noch gab sich Ilija Dargilew nicht geschlagen. Noch verfügte er über finanzielle Reserven in Milliardenhöhe und noch war er der Boss eines gigantischen Syndikats, das in allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion eine stabile Basis und die Unterstützung beinahe aller Regierungsoberhäupter besaß.
Wenn er, Ilija Dargilew, es wollte, stürzten diese eitlen Dummköpfe dorthin zurück, woher sie kamen – ins Nichts.
Warnung
Dass der Heilungsprozess von Walchers Brandwunden bereits nach wenigen Tagen erstaunlich weit gediehen war, schrieb er der Kräutertinktur zu, die er zwei Mal täglich auftrug. »›S isch vom Kräuterweible aus Balderschwang«, hatte Frau Zehner ihm bedeutungsvoll zugeflüstert, was so viel hieß, dass die Tinktur ein unerlaubtes Medikament und nur unter der Ladentheke – quasi privat an privat – abgegeben wurde, gegen den Preis einer freiwilligen Spende, versteht sich.
Jedes Mal, wenn Walcher in den vergangenen Monaten in Frau Zehners Kolonialwarenhandlung etwas einkaufte, machte ihn die stetig fortschreitende Verwandlung ihres Ladens betroffen. Im Zentrum der kleinen Ortschaft Weiler versorgte die »Handlung«, wie in großen Buchstaben über der Ladentür stand, die Bewohner des Ortes mit allem, was sie zum Leben brauchten. Früher jedenfalls, denn inzwischen konnten sie unter den üblichen Märkten auswählen, die sich längst auch im Allgäu ausgebreitet hatten. Auch Walcher musste zugeben, dass der Besuch bei Frau Zehner mehr einem Museumsbesuch, einer Reise in die Vergangenheit gleichkam. Noch immer lagen Waren in den Regalen der im Original erhaltenen Ladeneinrichtung oder hingen wie anno dazumal in Jahrmarktsbuden an Schnüren von der Decke, und auch auf dem Fußboden stapelten sich noch einige Kisten. Aber das war nichts gegen die Überfülle von früher. In der Mitte des Ladens stand inzwischen ein moderner Tisch mit fünf Stühlen. Auch auf der Verkaufstheke war die Neuzeit in Form eines italienischen Kaffeeautomaten eingezogen, und mehr und mehr verwandelte sich die Handlung in einen Café-Treff.
Meist saßen Frauen desselben Jahrgangs, nämlich Frau Zehners, um den Tisch, tranken Kaffee und tauschten sich über die Härten des Lebens aus, vor allem über die Grobheiten ihrer Ehemänner.
Um die Tinktur ohne fremde Hilfe auf dem Rücken auftragen zu können, hatte Walcher ein Ende eines Kleiderbügels mit einer Mullbinde umwickelt. Mit diesem gebogenen Tupfer konnte er sich selbst verarzten und war damit gerade beschäftigt, als sein Handy klingelte.
In verrenkter Haltung seine Brandwunden zu versorgen und dabei gleichzeitig mit der rechten das Handy aus der Hosentasche zu fischen, überforderte Walcher. Deshalb brach er die Behandlung ab und konzentrierte sich aufs Telefon, zu spät allerdings, der Anrufer hatte bereits die Verbindung abgebrochen. Mit einem Seufzer steckte er das Handy ein und ließ den Kopf kreisen, um seine verspannten Halsmuskeln zu lockern. Bevor er sich jedoch wieder vor dem Spiegel in Position gebracht hatte, klingelte das Handy erneut.
Dieses Mal bekam er es rechtzeitig ans Ohr. »Wir ficken Tochter!«, hörte er, nachdem er sich gemeldet hatte, und vermutete, nicht den ganzen Satz mitbekommen zu haben.
»Sie wollen meine Tochter sprechen?«, fragte er deshalb, aber der Anrufer ging nicht darauf ein, sondern wiederholte in demselben gebrochenen Russisch-Deutsch: »Wir ficken Tochter!«
Da wurde Walcher klar, dass er sehr wohl richtig verstanden hatte und auch niemand Irmi sprechen wollte.
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