Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
setzen zu können. Hinteregger hatte auf den Tisch gestellt, was die Küche hergab, frischen Orangensaft gepresst und die Kaffeemaschine angestellt, an der sich jeder nach Belieben mit Tee, Cappuccino, Espresso oder Kaffee bedienen konnte. Frühstücken, dabei Zeitung lesen und am straff gehaltenen Zeitungsblatt die Erdkrümmung am Horizont feststellen – konnte es noch etwas Wundervolleres geben?, fragte Walcher und erhielt von Irmi prompt die Antwort:
»Boot fahren.«
Hinteregger meldete sich zu Wort, als wäre er Reisebegleiter eines Ausflugsbusses: »Meine Dame, mein Herr, Individualreisen heißt Sie herzlich willkommen. Heute Vormittag ist in Sestri Levante Markt, anschließend wäre eine kurze Siesta nicht schlecht, und danach schlage ich vor, dass wir mit dem Boot an der Küste entlangschippern. Das hätte den Vorteil, dass wir vom Boot aus baden könnten oder an Land gehen und Eis essen, Campari trinken, uns Land und Leute zu Gemüte führen. Was haltet ihr denn davon? Hört sich doch nach einem idealen Programm zum Entspannen an, oder? Genau richtig für den ersten Urlaubstag. Kultur gibt’s danach, und zwar nicht zu knapp.«
Irmi streckte den rechten Daumen in die Höhe: »Gebongt, Hauptsache, ich darf mal die Yacht steuern.«
Eine »Yacht« zu steuern, die in Wirklichkeit ein einfaches Fischerboot mit einem stinkenden Dieselmotor war, stellte sich dann recht schnell als wenig aufregend heraus. Allein schon das Geräusch und Tempo, mit dem das Boot das türkisblaue Meer pflügte, erinnerten stark an einen Traktor, und den zu steuern war eher Männersache. Irmi gab dann auch bald das kleine Steuerrad wieder an Hinteregger ab und beschränkte sich auf das Betrachten der Landschaft, an der sie gemütlich vorbeituckerten. Steil aus dem Wasser ragten die Ausläufer des Apennin, um dann abrupt flachen Buchten Platz zu machen. In der ersten Bucht, die sich nach dem steilen Felsufer auftat, stand eine der größeren Werften Italiens. Hinteregger erklärte, dass bis zu seinem Ferienhaus das Gelände militärischer Sperrbezirk sei, weil auf der Werft auch Schiffe für die Regierung gebaut würden. »Dafür muss man direkt dankbar sein, sonst gäbe es hier vermutlich viel mehr Häuser und viel mehr Leute.«
Walcher nickte nur, er war gefesselt von den Bildern: Wasser, Erde, Luft, und zwar in einem derart ausgeprägten Wechselspiel der Farben und Formen, dass es ihn sprachlos machte.
Hinter der Bucht stiegen wieder steile Berge auf, teils blanker Fels, mit Pinien und Kiefern bewachsen, dazwischen Terrassen mit Olivenbäumen. Ein steil abfallender Felsrücken reichte weit ins Meer hinein, gekrönt von einer Burgruine, die sich im ruhigen Wasser spiegelte. Im Wasser schien alles vereint, die Erde und der Himmel.
Eine halbe Stunde später schlenderten sie durch Sestri Levantes Altstadt und genossen das typisch italienische Markttreiben. Alle Plätze, Gassen und Winkel waren dicht besetzt mit Händlern, an deren Ständen sich Einheimische und Touristen gleichermaßen drängelten. Alle Sinne wurden erbarmungslos attackiert, und wer Wert auf Hautkontakt legte, kam auch nicht zu kurz.
Von Walcher hatte Irmi ihr Taschengeld für die Ferien mit dem Hinweis erhalten, dass dies für persönliche Dinge sei, denn Ernährung und Kultur gingen auf seine Rechnung. Hinteregger steckte Irmi fünfzig Euro zu und meinte: »Bitte schön, habe ich von meinen Anteilen abgeknappst.«
Irmi strahlte, denn so viel Geld auf einmal gab’s sonst nur zum Geburtstag oder an Weihnachten. In Ferienstimmung über einen Markt zu bummeln weckt die Kauflust auf Dinge, die man ansonsten für überflüssig erachtet. Für ihre beiden Großväter erstand Irmi aus Holz geschnitzte Rückenkratzer, für ihre Großmütter Lavendelkissen, für ihren Freund entdeckte sie das ultimative Feuerzeug mit Sirenengeheul, für ihre beste Freundin feilschte sie um einen mit Glasdiamanten besetzten Ring. Irmi erklärte den beiden: »Damit hab ich die Mitbringsel-Arie aus dem Kopf. Jetzt können wir uns auf Land, Leute und Gelato konzentrieren.«
Walcher machte Hinteregger auf einen Mann aufmerksam, der ihnen folgte, seit sie im Hafen an Land gegangen waren. Der war ihm vor allem deshalb aufgefallen, weil er eine schwarze Lederjacke trug, bei dreißig Grad Lufttemperatur etwas ungewöhnlich. Hinteregger meinte dazu bloß lapidar, wenn das so auffallend sei, müsste er sich wohl Gedanken um die Kleidung seiner Mitarbeiter machen, denn auch der zweite Mann, der
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