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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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verantwortlich machen konnte. Doch wen
dann?
    Friederike wischte den Gedanken beiseite, um sich nicht vom
Eigentlichen abbringen zu lassen. In diesem Moment spürte sie den Blick
des Huronen auf sich: dotterweich und schwarz, so dass man keine
Pupille erkennen konnte, und zudem recht vergnügt. Friederike bemerkte,
wie der Duft nach Orangen stärker wurde. Sie atmete tief ein. Spiegelte
sich ihre Haube in seinen Augen? Erkannte er sie? Sie beide standen
ganz allein mitten in einer Berliner Gastwirtschaft und wussten, dass
sie hier fremd und überflüssig waren. Der Sohn eines Pelzjägers, der
bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr keinen Weißen gesehen, dann aber
französischen Jesuiten in die Hände geraten war, und die zweite Tochter
des preußischen Königs verzehrten sich in diesem Augenblick vor
Sehnsucht nach einem anderen Leben. Friederike hätte ihm gern ihren
Namen genannt und nach dem seinen gefragt. Er verengte seine Augen zu
schmalen Schlitzen. Sie sah darin ein Zeichen für sie.
    »Schaut nur die an, die gafft ihm ja die Eier weg«, lachte
eine Frau gellend auf und knuffte Friederike nicht unfreundlich in die
Seite. Andere schimpften los, dass sie nun endlich auch ein paar Weiber
der Wilden sehen wollten. Sofort rief der Conférencier eine
verschleierte Türkin auf die Bühne, die ihren üppigen nackten Bauch zu
Schellenklängen kreisen und hüpfen ließ. Die Huronen verschwanden
augenblicklich hinter dem Vorhang.
    Friederike besaß noch vierunddreißig
Kreuzer, wenn sie das Geld für die Rückfahrt abzog. Wieder schob sie
sich durch die Menge, rammte Hüften, riss eine Perücke herunter, wurde
beschimpft, gestoßen und getreten. Zuerst nahm sie einen Ausgang, der
zu einem dunklen Hinterhof führte, auf dem zwei Männer urinierten, die
sie hämisch angrinsten. Dann fand sie die richtige Tür.
    Die Zwergenfamilie kauerte in dem kleinen Raum auf einem
Teppich am Boden und aß Kuchen aus einem Korb. Die Frau mit dem
mächtigen Kropf, der ihren Kopf wie ein rosiger Pelzkragen wärmte,
stickte an einem Kissen und blickte freundlich auf. Der Feuerschlucker
fuhr unverdrossen fort, seine Stiefel zu putzen.
    »Guten Abend.«
    »Guten Abend, wie können wir Ihnen behilflich sein, gnädiges
Fräulein?«
    Es war der Vater der Zwergenfamilie, der das Wort an
Friederike richtete. Sein ernstes, faltenreiches Gesicht zeigte
Anteilnahme. Friederike zögerte nicht. Falsche Scham würde zu viel Zeit
kosten.
    »Ich suche den Huronen aus den Wäldern Französisch-Amerikas.«
    »Noch so eine, die sich in Jérôme vergafft hat«, höhnte eine
Stimme. Eine üppig geschminkte Matrone, die Friederike bisher noch
nicht gesehen hatte, weil sie hinter einem Paravent saß, schlurfte
schwankend, vielleicht schon ein wenig betrunken, heran.
    »Wenn jede, die bei uns vorbeischaut …«
    Friederike trat einen Schritt vor und drückte ihr, die hier
offensichtlich das Sagen hatte, denn auch der Zwergenmann blickte
gehorsam zu ihr hoch, die vierunddreißig Kreuzer in die Hand.
    »Na gut, dann hier hinein, Fräulein.«
    Für Friederike öffnete sich eine Tür zu einem weiteren kleinen
Zimmer.
    Hatte er auf sie gewartet? Oder wartete er die ganze Zeit, so
wie er dasaß, ruhig und ausdruckslos auf einem Schemel? Er stand nicht
auf, als sie eintrat.
    Auf Französisch sagte sie: »Ich habe bezahlt.«
    »Eh bien .«
    Sein Blick hatte sich seit der Begegnung im Wirtssaal nicht
verändert.
    »Monsieur, Ihre Zähne bitte.«
    Und schon stand sie ganz nah bei ihm, so nah, dass ihr jetzt
auch wieder der Geruch des ausgelassenen Gänsefettes ins Gesicht stieg
und den Orangenduft überlagerte, und öffnete seinen Kiefer so, wie sie
es bei den Pferdeknechten in Wusterhausen gesehen hatte. Vorsichtig hob
sie die Oberlippe an. Seine Haut fühlte sich weicher an als alles
Lebendige, das sie bislang berührt hatte. Kein einziger Zahn fehlte,
keiner war gelb oder gar schwarz. Ein wenig Speichel tropfte ihm aus
den Mundwinkeln und über ihre gespreizten Finger. Das weiß blitzende
Diadem hätte Dinglinger, der Juwelier des sächsischen Kurfürsten, nicht
kostbarer schmieden können, dachte sie. Sie zählte langsam. Zuerst die
obere Reihe, dann die untere.
    »Zweiunddreißig«, sagte sie schließlich.
    Er nickte.
    Eine Weile blieben ihre Hände noch auf seinem Kinn. Er saß
weiter reglos und lächelte amüsiert. Sie hatte es nicht vorgehabt,
handelte dann aber blitzschnell. Während sich ihre linke Hand noch
immer nicht von seinem schönen Kiefer trennen wollte,

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