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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Lächeln.
    Für einen Moment beneidete sie ihre Freundin heftig. Wie
aufregend musste es sein, von einem Mann erwartet und begehrt zu
werden. Wieder einmal dachte sie an Carlo Carlone, mit dem sie so gerne
all das nachgeholt hätte, was sie mit ihrem Ehemann versäumt hatte. Es
fiel Friederike schwer, wieder zu ihrem Schreibtisch zu gehen, und noch
schwerer, sich auf chinesische Maskenschweine zu konzentrieren.
Angespannt zerrupfte sie das Ende eines Federkiels, bis langsam wieder
Ruhe über sie kam und sie sich daranmachte, ebenso wie Herr Crusoe nach
seinem Schiffbruch, ihre Zeit mit etwas Sinnvollem zu füllen. Wie viele
Maskenschweine sollte sie also bestellen? Von England mussten sie über
den Kanal nach Le Havre geschifft und von dort quer über den halben
Kontinent nach Schwaningen gekarrt werden. Dreißig vielleicht oder
vierzig? Manche würden die Reise nicht überleben oder gleich am Anfang
im Stall krepieren. Schließlich orderte sie fünfzig. Sie würde, so
beschloss sie, dafür eine Kröte schlucken und die Wünsche des Bruders
erfüllen. Dann würde er ihr vielleicht einen Kredit gewähren. Außerdem
forderte sie in ihrem Brief Bessborough auf, sie umgehend seinem Freund
in Sussex zu empfehlen, der angeblich seit Längerem mit Einzüchtungen
experimentierte. Um dem Lord Beine zu machen, wies sie wieder einmal
auf ihre enge Verwandtschaft zum Hof von St. James hin, aber sie ahnte,
dass das dem selbstbewussten Engländer ziemlich egal war. Hauptsache,
sie bezahlte pünktlich ihre Rechnungen.
    Am Abend des zweiten Tages des hohen
Besuches wünschte der König, mit dem Geheimen Ratspräsidenten
Seckendorff unter vier Augen zu speisen. Sowohl Friederike als auch
Charles erinnerten sich später an diese Stunden als die glücklichsten
während der ganzen prächtigen Festivitäten.
    Kurz vor Mitternacht bekam der Markgraf
zudem eine gute Nachricht aus Georgenthal. Die Wünschin fühlte sich
wieder besser. Die Blutungen hatten aufgehört. Die Hebamme und Doktor
Treu waren sich sicher, dass die Geburt doch noch auf sich warten ließ.
Zu Tode erschöpft, als wäre er wie ein Fuchs tagelang von Reitern und
Hunden über Stock und Stein gejagt worden, fiel der Markgraf in einen
traumlosen Schlaf, aus dem ihn weder Blähungen noch Durchfall
aufschreckten.
    Friederike schickte an diesem Abend ihre
Hofdamen und Zofen früh zu Bett, legte sich der Länge nach auf den
Fußboden und skizzierte wieder einmal die Umrisse eines Menschen auf
ein großes Stück Papier. Dann setzte sie aus dem Gedächtnis sämtliche
Organe, Blutbahnen und Knochen ein, von denen sie wusste, dass es sie
gab. Sie zeichnete in erster Linie das, was ihr von den Gesprächen mit
Carlo Carlone über die menschliche Anatomie im Gedächtnis geblieben
war. Natürlich besaß sie inzwischen auch einen ganzen Stapel
medizinischer Lehrbücher, die aber nicht so exakt das Spiel der
Gelenke, Rippen und Muskeln wiedergaben, wie der Maler es durchschaut
hatte.
    Ihre Knie schmerzten, als sie Stunden später
wieder in die Hocke ging und schließlich aufstand. Sie trat einen
Schritt zurück und schaute von oben auf ihr Werk. Im Schloss war es
inzwischen ganz still geworden. Nur das Schnarchen der Zofe, die auf
einer Pritsche direkt vor der Tür schlief, drang noch zu ihr.
    Friederike liebte solche Nächte, in denen sie komplett vergaß,
dass sie die Markgräfin von Brandenburg-Ansbach, die Schwester des
preußischen und die Nichte des englischen Königs war. Sie fühlte nur
noch die Verwandtschaft zu dem schemenhaften Wesen am Boden, in dessen
Rumpf trichterförmige Pilze wuchsen und sich aufgeblähte Darmwürmer
umeinanderschlangen. Das Einzige, was sie jetzt noch quälte, war, dass
sie wusste, dass sie vieles nicht wusste. Ein Schmerz, den sie
inzwischen liebte.
    In letzter Zeit grübelte sie immer mehr darüber nach, in
welchen Gefäßen die auf- und absteigenden Körpersäfte, auf die so viele
Ärzte schworen, überhaupt zirkulierten. Es fehlte schlichtweg der Raum
dafür. Langsam ging sie um den gemalten Mann herum und betrachtete ihn
von allen Seiten. Würde er mit dem, was sie ihm mitgegeben hatte,
atmen, springen, leben können? Was trieb dieses Leben an, welcher Funke
musste wohin überspringen, damit die Maschine in Gang kam? Was davon
blieb noch für die Ärzte, wenn sie sofort nach dem Tod den Leib
aufschnitten? Ratlos, aber doch müde ging Friederike schließlich wieder
in die Knie, um ihr Papier zusammenzurollen, damit die Lakaien, wenn
sie morgen in

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