Falkenjagd
Blatt zwischen den Fingern, auf dem sich ein
verirrter Käfer wärmte.
Sie sprachen nicht weiter darüber, weil beide ohnehin wussten,
dass die Lage miserabel war. Das Fräulein hatte keinen Ehemann und auch
kein Erbe, um schnell einen zu ködern. Friederike wiederum fehlte das
Bargeld, ihr eine Mitgift zu schenken. Alles, was sie gehabt hatte,
hatte sie in den Ankauf der chinesischen Maskenschweine gesteckt.
Reitzenstein, der einmal verrückt nach Caroline gewesen war, verschlang
sie zwar immer noch mit glasigen Augen, sah aber ein, dass sie dem
Markgrafen und letztlich auch ihm selbst nicht geheuer war. Den
Markgrafen brauchte man nicht zu bitten, sagte Caroline ohne
Bitterkeit. Da könnte man sich gleich selbst eine Kugel in den Fuß
schießen. Außerdem hatte die Markgräfin mit ihm schon seit fast einem
Jahr kein privates Wort mehr gewechselt. Sie hörte ihn nur öfter auf
den Gängen schimpfen, dass die preußische Sippschaft auf ihrem Hochmut
geradewegs in die Scheiße rutschen würde, und das eine oder andere Mal
stimmte sie ihm sogar zu. Ansonsten kamen sie so gut miteinander aus
wie schon lange nicht mehr.
Caroline würde den Hof verlassen müssen. Ein Hoffräulein, auch
wenn es aus gutem fränkischem Adel kam, das ein Kind am Bändel hatte
und nicht einmal eine Amme bezahlen, geschweige denn auf Bällen tanzen,
bei Theateraufführungen hübsche Allegorien darstellen und den Gesandten
Wiens bei Laune halten konnte, war ein Unding. Nicht dass man schlecht
über sie geredet hätte. Uneheliche Kinder sprangen in jeder Gasse herum
und verdienten sich auf jedem Bauernhof ihr Brot. Jede Geliebte eines
hohen Herrn war froh, wenn sie ihm seine Potenz bewies und schwanger
wurde. Aber ein Geschöpf wie Caroline hatte nur dadurch eine
Daseinsberechtigung am Hof und damit in der Welt, dass sie sich und
andere amüsierte. Dass sie jung und die Illusion von ewiger
Leichtigkeit blieb. Wo hätte sie ihr Kind verstecken sollen, wenn sie
bis zum Aufgang der Sonne am Spieltisch saß oder mit der Markgräfin
repräsentieren musste? Wie es großziehen, wenn sie ihm nichts außer
lachsfarbenen Seidenstrümpfen und den chinesischen Fächern bieten
konnte, die ihr Reitzenstein geschenkt hatte? Selbst August der Starke
hatte, wie jeder wusste, die Kinder seiner Mätressen weit weg auf
Gutshöfen oder in Klöstern aufziehen lassen, damit er mit ihren Müttern
weiter von Oper zu Festgelage, von Wettspiel zu Prunkjagd ziehen
konnte. Caroline wusste das alles, denn sie war eine vernünftige
Person, und Sentimentalität war noch nie ihre Sache gewesen. Ein
langweiliges Leben auch nicht.
Also versuchte sie es weiter mit bitteren Tees und essigsauren
Einläufen und gab gutes Geld für den Rat einer bekannten Kurpfuscherin
aus. Aber nichts half.
Außerdem befand sich der Hof mitten im Karneval. Nach dem
Ärger mit dem königlichen Schwager, der ihm die Galle hochgetrieben
hatte, wollte der Markgraf feiern, was das Zeug hielt. Kein Abend
verging, ohne dass sich Türken, menschliche Schiffe mit gesetzten
Segeln, langschnabelige Wesen der Unterwelt, Sennerinnen mit Strohhüten
oder fesche Ungarn vor den Spiegeln des Festsaals einfanden. Die Diener
schleppten jeden Mittag neue Holzkulissen heran, die die Hofmaler bis
zum Abend bepinselten. Der Rheinwein floss in Strömen, und jeden Abend
wurden dreihundertsiebzig neue Kerzen angezündet.
Die Laune des Markgrafen besserte sich von Tag zu Tag.
Heistermann wusste, warum. Er, der in alle Geheimnisse eingeweihte
Hofzwerg und Geheime Rat, hatte seinem Herrn Diavolini di Napoli
aufgeschwatzt. Kolossal sei die Wirkung, der Schwanz schwelle in
Sekundenschnelle an wie ein Schweinedarm, in den man Wasser füllte, und
die Weiber würden ganz kirre. Er selbst, so protzte Heistermann,
probiere es laufend an den allerjüngsten Zofen aus. Der Zwerg kicherte
heiser, und der Markgraf bestellte gleich drei Dutzend dieser
Wunderpillen, die man aus dem getrockneten, orangeroten Saft der
Spanischen Fliege gewann. Er mischte sie in seinen Wein, und bald
stellte sich bei ihm eine etwas schmerzhafte, aber phänomenale Erektion
ein, so dass der Markgraf seit langem wieder das Gefühl verspürte,
richtig zu leben. Eilig verabredete er sich mit der jungen Witwe des
Barons Scheyern, nur um gleich am nächsten Morgen schon wieder eine
Schlittenpartie zu befehlen. Die Damen und Herren des Hofes legten noch
mehr Bleiweiß und Rouge auf, um die Spuren der kräftezehrenden Nächte
zu verwischen. In Bärenfelldecken
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