Falkenjagd
Ranges. Diejenigen, die in
sein gequältes, aufgedunsenes Gesicht sahen, glaubten ihm sogar.
Die Markgräfin beließ es ja auch nicht bei
einem Mal. Bereits Ende Februar sickerten aus Schwaningen Informationen
durch, dass sie mittlerweile jeden Tag bade.
Alles hatte mit einer Seite aus der Yorkshire Tribune begonnen, die der letzten
Rechnung Bessboroughs beilag. Der Lord wollte sich bei der deutschen
Fürstin wichtigtun, denn ein ganzer Artikel widmete sich der Prämierung
seiner Zuchtbullen. Daneben war noch die Gästeliste eines Empfangs in
seinem Haus abgedruckt. Friederike wollte die Zeitungsseite schon ins
Kaminfeuer werfen, als ihr eine Überschrift auf der Rückseite ins Auge
fiel: Das kalte Wasser und die neuen Lebenskräfte.
Bereits eine Stunde später gab sie beim Schwaninger Scheffler
einen großen Holzbottich in Auftrag. Sie war nicht nur neugierig,
sondern regelrecht aufgeregt. Caroline bestand darauf, beim ersten
Versuch zugegen zu sein. Im Notfall wollte sie so schnell wie möglich
einen Arzt für die Markgräfin rufen.
»Nur Hunde und Falken baden gern, für die ist es anscheinend
auch nicht gefährlich. Aber die menschliche Haut ist diesem aggressiven
Element vollkommen schutzlos ausgeliefert. Wer weiß, was für furchtbare
Krankheiten durch Ihre Poren eindringen werden«, beschwor sie noch
einmal die Markgräfin. Selten war ihr etwas so ernst gewesen.
Doch Friederikes Entschluss stand fest. Sie ließ sich komplett
ausziehen und setzte sich dann langsam und vorsichtig in den bis
obenhin mit klarem kaltem Wasser gefüllten Zuber. Beide Frauen hielten
den Atem an. Friederike blickte ihre Freundin nur aus weit
aufgerissenen Augen an. Der Wind drückte zornig gegen die
Fensterscheiben, sonst war es still.
Erst nach ungefähr fünf Minuten vernahm Caroline wieder ein
Lebenszeichen von der mittlerweile bis zum Kinn abgetauchten
Markgräfin: »Wunderbar, herrlich. Ich habe sie gespürt.«
»Was gespürt?«
»Die Konvulsionen.«
Caroline schlug vorsichtshalber schnell ein Kreuz. Obwohl sie
sicher war, Friederike mehr zu lieben als sonst irgendjemanden,
zweifelte auch sie gelegentlich an deren Verstand.
»Caroline, meine Organe sind deutlich angespannt und aktiviert
worden, ich habe es genau gefühlt.«
»Soll ich Ihrer Königlichen Hoheit schnell einen Aderlass
vorbereiten lassen?«
»Ach, Quatsch! Das kalte Wasser lässt meine Körpersäfte doch
extra gut zirkulieren, wozu brauche ich da einen Aderlass?«
Mit Schwung, dass das Wasser nur so spritzte, erhob sie sich
nach fünf weiteren Minuten, wies die helfende Hand der eiligst
herbeigestürzten Caroline ab und stieg ganz alleine, mit klappernden
Zähnen, aber offensichtlich sehr glücklich aus dem Bottich. Bevor sie
sich von einer Zofe mit großen Leinentüchern abtrocknen ließ,
betrachtete sie eingehend ihre Gänsehaut, die harten Brustwarzen und
überhaupt die kräftige Rötung, die ihr ganzer Körper inzwischen
angenommen hatte.
»Genau wie es dieser englische Arzt in der Yorkshire Tribune beschrieben hat. Was für ein
erfolgreiches Experiment.«
Friederike kam sich vor wie jemand, der die Tür eines dunklen
Raums aufgestoßen und helles Tageslicht hereingelassen hatte. So,
vermutete sie, musste sich auch Robinson Crusoe gefühlt haben, als er
nach Schiffbruch und Erschöpfung mit neuer Vitalität und Frische die
Herrschaft über seine Insel übernahm. Wie habe ich überhaupt so lange
so schlaff und kränklich dahinvegetieren können?, fragte sie sich.
Warum bin ich nicht früher auf die Wirkung von kaltem reinem Wasser
gekommen? Friederike klopfte sich mit ihren Handflächen kräftig auf die
Wangen, schüttelte ihre Beine und streckte dann noch einmal die Arme
weit von sich. Sie war sich ganz sicher. Jetzt, mit dreißig Jahren,
begann für sie dank dieser sensationellen Therapie ein ganz neues
Leben. Zu ihrem Entzücken kam augenblicklich ein weiterer Beweis, dass
die Behandlung funktionierte.
»Auch das stimmt, Caroline, auch das!«, jubelte sie, während
sie mit gespreizten Beinen auf dem Leibstuhl saß.
Langsam rezitierte sie ihr neues Wissen: »Es gibt kein
wirksameres Mittel als die Kälte, wenn man das Blut verflüssigen und
schleimige Substanzen von den Gefäßwänden entfernen, die Drüsen
entschlacken und die Lebensgeister dämpfen oder ihren schnelleren Fluss
in den Nerven fördern will, wenn Verstopfungen der Leber oder der Milz
beseitigt werden müssen oder der Harnfluss angeregt werden soll.«
Caroline fand, dass dieses
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