Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
nickte Kirstie. »Wir spielen eine Rolle im Leben und müssen uns damit zufrieden geben. Doch wir sollten niemals die Aufgaben vergessen, die uns gestellt sind. Ohne dabei über das Ziel hinauszuschießen!«
»Es ist schon schwer genug, bei unseren eigenen Angelegenheiten alles richtig zu machen!«, warf Silya ein. »Was ich schon immer fragen wollte: Wissen wir eigentlich immer, welche Rolle wir zu spielen haben? Ich meine, schaut euch doch nur mal Alduins Mutter an. Sie wurde als Wunand-Amazone geboren, oder jedenfalls behaupteten das alle. Aber in ihr selbst wuchs etwas ganz anderes heran und sie beschloss ihren Lebensweg zu ändern ...«
»Stimmt«, warf Alduin ein. »Und erst jetzt erkennt sie allmählich, wer sie wirklich ist, und lernt mit ihrer wahren Natur und ihren Gaben umzugehen.«
»Aber sie ist auf dem richtigen Weg«, meinte Erilea. »Und das ist das Wichtigste dabei: Es ist also nie zu spät.«
»Wo liegt eigentlich die Insel Kreta? Und wer ist dieser da Vinci?«, wollte Rael wissen.
»Kreta ist die größte der griechischen Inseln, aber Griechenland ist sehr weit von meiner Heimat entfernt. Bei uns zu Hause in den Highlands ist es die meiste Zeit des Jahres ziemlich kalt. Doch wie mein Lehrer sagt, scheint in Griechenland immer die Sonne. Leonardo da Vinci war ein echtes Genie. Er malte Bilder von unglaublicher Schönheit. Seine Porträts ... treiben einem Tränen in die Augen. Aber er war auch Architekt, Musiker und Erfinder. Manche behaupten, er habe sich mit Geheimwissenschaften befasst und dunklen Bruderschaften angehört. Ich glaube das nicht. Ich sah einige seiner Werke, als ich vor zwei Jahren mit meinem Vater in Italien war - noch so ein sonniges Land. Es war wirklich unbeschreiblich!«
»Den hätte Malnar mal kennen lernen sollen. Er ist ja auch einer, der nie zufrieden ist. Manchmal habe ich Angst, dass er enden könnte wie dieser Ikarus.«
»Wäre es nicht schön, wenn wir einmal in Kirsties Welt reisen könnten, um sie kennen zu lernen?« fragte Silya mit neugierig funkelnden Augen. »Erzähl uns doch, Kirstie, wie du nach Nymath gekommen bist?«
Kirstie lächelte traurig und schüttelte den Kopf. »Ich würde euch gern davon erzählen, aber das darf ich leider nicht. Denn die Gefahr für Nymath ist zu groß. Es ist die Aufgabe der Nebelsängerinnen, das Geheimnis zu wahren und es jeweils an die nächste Generation der Mädchen weiterzugeben!«
Die Gruppe schwieg eine Weile. Kirstie hatte die Wunand und die Raiden daran erinnert, dass die Sicherheit ihrer Welt nur dieser ununterbrochenen Linie von Frauen zu verdanken war: den Nebelsängerinnen, die dazu bestimmt waren, dem Ruf zu folgen, wann immer er sie erreichte. Dank sei den Göttern, dass sie bisher noch nie versagt hatten.
»Wir werden dir helfen das Geheimnis zu bewahren«, sagte Alduin schließlich und sprach damit allen aus dem Herzen. »Wir sind natürlich neugierig, aber wir werden dich nicht weiter ausfragen. Und jetzt wollen wir dir erst einmal Sanforan zeigen.« Er sah die anderen an, die eifrig nickten. »Zuerst zeigen wir Kirstie die Falken!«
Am Tag zuvor hatte Rihscha endlich seinen Käfig draußen im Freien bei den anderen Falken bezogen. Aber er wurde immer noch bewacht. Bedrückt dachte Alduin darüber nach, wie sehr sich doch alles innerhalb von zwei Siebentagen verändert hatte: Wachen für die Falkner, Wachen für die Nebelsängerin, Wachen für die Suche nach Carto. Immer wütender kreisten seine Gedanken um die Ereignisse, bis er so gereizt war wie die Krallenmale an seinem Handgelenk, die gerade jetzt wieder sehr stark zu brennen begannen. Er trug ein wenig von der Salbe auf und rieb sie sanft ein. Immer wieder drängte sich ihm die Frage auf, welche Gefahren der Nebelsängerin und Nymath wohl drohen mochten. Carto hatte zwar nichts erreicht, aber war er tatsächlich ein Einzelgänger? Warum hatte er das überhaupt getan? Ganz gewiss würde er nicht wollen, dass die Verteidigung von Nymath zusammenbricht. Das alles ergab einfach keinen Sinn. Aber eins war sicher: Je schneller man Carto fand und verhörte, desto besser.
»Du bist ja völlig in Gedanken versunken! Wolltest du nicht Kirstie deinen Falken zeigen?« Erilea stieß Alduin sanft mit dem Ellbogen in die Rippen.
Rael hatte inzwischen Sivella aus dem Käfig genommen und führte sie stolz der begeisterten Kirstie vor. Recht eitel breitete der Vogel die Flügel aus, sodass sie ihn in all seiner Pracht bewundern konnte.
»... es stimmt«,
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