Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
von Ereignissen nach, die ihn hierher gebracht hatte. Wenn ihm irgendjemand diese Geschichte erzählt hätte, so hätte sich sein Verstand geweigert, das alles für eine Reihe von Zufällen zu halten. Eher kamen ihm die Ereignisse wie bunte Fäden vor, die in einen Wandteppich gewebt, aber noch nicht festgezogen waren, sodass sich noch kein erkennbares Muster ergab. Aber warum hatte sein Leben diese überraschende Wende genommen? Er war doch nichts Besonderes - er gehörte nicht einmal reinblütig zu einem Stamm, und seit er in Sanforan angekommen war, hatte er lernen müssen, dass die Stammeszugehörigkeit in Nymath eine Menge bedeutete. Allmählich bildete er sich ein, dass man ihn als eine Art Missgeburt ansah, als ein seltsames Wesen, das höchstens für ein wenig Abwechslung und Unterhaltung sorgte. Er fragte sich, wen er überhaupt zu seinen echten Freunde zählen konnte: Calborth, Bardelph, Erilea und Rael? Weniger Freunde, als er Finger an einer Hand hatte.
Sosehr er sich auch bemühte - das Gefühl der Kameradschaft, das ihn noch am Morgen erfüllt hatte, stellte sich nicht wieder ein. Der Rest des Nachmittags verging wie im Traum, als sei er gar nicht richtig anwesend oder als ob sich ein dünner Vorhang zwischen ihn und die anderen Jungen gesenkt hätte. Er hielt sich abseits oder blieb in Bardelphs Nähe. Als Rael ihn fragte, was denn los sei, wich er aus und behauptete nur, dass er sich nicht wohl fühle, er solle sich keine Sorgen machen, morgen ginge es ihm bestimmt wieder besser.
Am folgenden Morgen bauten sie das Lager ab und bemühten sich möglichst wenig Spuren von ihrem Aufenthalt zu hinterlassen. Dann traten sie den Rückweg in die Hauptstadt an. Er schien eine Ewigkeit zu dauern: Es gab keine neuen Entdeckungen zu machen, die sie voller Erwartung vorangetrieben hätten. Als sie endlich ankamen, bat Alduin um Erlaubnis, noch im Gasthaus vorbeizuschauen, um zu sehen, ob seine Mutter zurückgekommen war. Doch sie war noch nicht da und der Wirt hatte auch keine Nachricht von ihr bekommen. Niedergeschlagen kehrte er zum Falkenhaus zurück. Seine Stimmung hob sich ein wenig, als er sah, wie prächtig Rihscha sich entwickelte und dass er sich über seine Rückkehr zu freuen schien. Er streifte den Lederhandschuh über und nahm den Falken mit nach draußen, um noch eine Weile mit ihm in der späten Nachmittagssonne zu sitzen. Rihscha schlug mit den Schwingen und putzte sein Gefieder, bis er sich schließlich niederkauerte und einschlief. Erst jetzt entdeckte Alduin, dass sich jemand unbemerkt neben ihn gesetzt hatte: Erilea.
»Na, wie war's?«
»Gut. Ja, es war wirklich gut ... Ich hab einen Peeribock erlegt, wir haben ihn gegessen und alle möglichen interessanten Dinge gelernt ... und nach dem Gewitter hat es nur noch wenig geregnet!«
Alduins Stimme klang gepresst und nicht sehr überzeugend.
»Aha«, sagte Erilea und schaute ihn forschend von der Seite an. Dann legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Und wie war es nun wirklich ?«
»Nichts ... alles war in Ordnung.«
»Alduin, meinst du nicht, dass es manchmal besser ist, etwas zu erzählen, statt es in sich hineinzufressen?«
»Hm. Vielleicht hast du Recht. Warte mal, ich setzte Rihscha in den Käfig zurück.«
Erilea wartete auf ihn. Stillschweigend gingen sie durch das hintere Tor hinaus und schlugen den Weg zu ihrem Aussichtspunkt auf den Küstenklippen ein. Dort setzten sie sich nebeneinander in die Sonne. Alduin schien unentschlossen, doch dann zog er den Ärmel hoch, zeigte ihr die Male auf seinem Unterarm und erzählte, wie es dazu gekommen war.
»Oh, Alduin ... das ist ja unglaublich!«, flüsterte sie, als er geendet hatte, und fuhr mit ihren Fingern sanft über die Male. »Das muss etwas zu bedeuten haben.«
»Ja, das sagt Rael auch, und jetzt behandelt er mich wie jemand aus einer anderen Welt. Wie eine der Sagengestalten, von denen Meister Torm immer erzählt, wenn er uns die Sternzeichen erklärt. Und ein paar von den anderen glaubten ... oder hatten richtig Angst ... als würde ich mich gleich in einen Falken verwandeln oder so etwas.«
Sie schob ihre kleine Hand in seine und drückte sie. »Mach dir keine Sorgen! Ich bin sicher, dass bald alles wieder gut werden wird. Rael wird dich schon verstehen. Er ist dein Freund.«
»Ich weiß. Aber ich wünschte, es wäre jemand da, der mir erklären kann, was eigentlich vor sich geht. Ich spüre, dass diese Geschichte nicht erst mit mir beginnt, und mir ist klar
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