Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
Zuschauer wieder ihren Geschäften zuwandten, verspürten viele von ihnen einen Hauch von Wehmut und Sehnsucht.
Die Schnelligkeit, mit der die grünen Emmerfelder unter ihm hinwegzogen, faszinierte Alduin. Schon nach kurzer Zeit kam ihm die Landschaft irgendwie bekannt vor - er erkannte die kleine Baumgruppe an dem silbern glänzenden Bach, wo sie auf dem Weg nach Sanforan gerastet hatten und er mit Bardelph im Wasser herumgetollt war. Rihscha landete für einen kurzen Augenblick, dann stieg er wieder auf; er flog fast genau die Strecke entlang, auf der Alduin vor so vielen Siebentagen mit seiner Mutter und Bardelph nach Sanforan gezogen war. Rihscha überließ sich völlig der Freude des Fliegens und nach einer Weile übertrug sich seine unbekümmerte Wildheit auf Alduin, sodass dieser beinahe den Auftrag vergaß, den er auf dem Flug zu erfüllen hatte.
Rihscha, ich muss dich jetzt für eine Weile verlassen ... Aber ich komme bald wieder ...
Rihscha antwortete mit einem verständnisvollen Ruf; dann unterbrach Alduin die Bindung und öffnete die Augen. Überrascht stellte er fest, dass er und Rael als Einzige in dem kleinen Garten zurückgeblieben waren.
»Du bist eine sehr lange Strecke geflogen«, sagte sein Freund. »Meister Calborth wollte, dass ich hier bei dir bleibe. Er empfiehlt nur ab und zu nachzuprüfen, ob mit dem Falken alles in Ordnung ist, und nicht über zu lange Entfernungen mitzufliegen.«
»Wie lange war ich denn weg?«
»Die sechste Glocke hat gerade geschlagen«, antwortete Rael. »Gehen wir zum Falkenhaus zurück?«
»Wird wohl besser sein. Es hat vermutlich keinen Zweck, hier die ganze Zeit zu warten«, stimmte Alduin zu. »Wie ist es Sivella ergangen?«
Rael konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken. »Sie hat sich sofort an die Spitze gesetzt. Man hätte glauben können, sie will unbedingt ein Wettrennen gegen die Terzel gewinnen!«
Lachend machten sich die beiden Jungen auf den Weg und gingen sofort in den Speisesaal, wo gerade das Abendessen aufgetragen wurde. Die jungen Falkner verhielten sich höchst seltsam - zwar redeten sie wie gewohnt wild durcheinander, aber sobald einer von ihnen in unbestimmte Fernen blickte, breitete sich respektvolles Schweigen aus: Alle wussten, dass dieser Junge gerade wieder Verbindung mit seinem Falken aufgenommen hatte. Doch allmählich gewöhnten sie sich an diese Vorgänge und ließen sich davon nicht mehr ablenken. Auf diese Weise überwachten die Jungen die Flüge ihrer Falken und alle spürten eine Aufregung, die keinen Raum für Neid zwischen ihnen ließ. Zu unterschiedlichen Zeiten hatten die Falken ihren Flug unterbrochen, um zu jagen - eine Erfahrung, welche die Jungfalkner mit sehr unterschiedlichen Gefühlen erlebten. Brentin genoss es, als sein Mornal einen jungen Fasan schlug und ihm die Kehle aufriss. Das überraschte niemanden, da auch Brentin nichts lieber tat als zu essen. Aber die meisten anderen Jungen zogen es vor, sich von ihren Falken zu verabschieden, kurz bevor diese ihre Beute töteten.
Als die Jungen mit dem Abendessen fertig waren, erreichten die Falken Lemrik. Meister Calborth wies sie an die Vögel in den felsigen Hügeln hinter dem Dorf nach Rastplätzen für die Nacht suchen zu lassen; am nächsten Morgen sollten sie dann nach Sanforan zurückkehren - oder aber ihren Flug fortsetzen.
Alduin spürte sofort, dass etwas nicht stimmte, als er sich am folgenden Morgen mit Rihscha verband. Zuerst konnte er nicht feststellen, was es war, aber plötzlich wurde es ihm klar. Rihscha hatte sich einen Felsvorsprung als Nachtlager ausgesucht; die nur spärlich wachsenden Büsche waren mit Raureif bedeckt. Der Falke schwang sich von dem Felsen und flog in langsamen Kreisbewegungen auf das Dorf zu. Alduins erster Gedanke war, dass der Wind umgeschlagen hatte und nun einen eiskalten, für die Jahreszeit ungewöhnlichen Luftstrom von den Bergen herabblies. Doch dann bemerkte er, dass sich die Laubbäume zwischen den immergrünen Tannen und Fichten in strahlenden Herbstfarben zeigten, und zugleich wurde ihm bewusst, dass Rihscha älter geworden war. Alduin hätte nicht erklären können, warum er das so empfand, aber er spürte es im ganzen Wesen des Falken.
Rihscha ... was ist passiert?
Doch im selben Augenblick begann sich Alduin so unbekümmert, so sorglos und unbeschwert zu fühlen, dass er es nicht mehr für nötig hielt, die Bindung zu unterbrechen, in welcher Jahreszeit sie auch sein mochten. Er blieb bei
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