Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
sprach nur, wenn ihm hier und dort etwas nicht ganz klar geworden war. Als Alduin geendet hatte, lächelte er.
»Du hattest also nur eine einzige Vision, bei der du nicht mit Rihscha geflogen bist - das war, als du mit Erilea auf den Klippen warst und ein Boot auf dem Meer gesehen hast. Richtig?«
Alduin zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht ... Es war so kurz ...«
»Nun, damit müssen wir uns im Augenblick nicht beschäftigen. Danke, dass du mir alles erzählt hast. Ich leugne nicht, dass ich spontane Visionen faszinierend finde. Ich selbst brauche immer etwas, das mir sozusagen als Brücke dient. Eine Kerzenflamme wirkt bei mir am besten.«
Er zog eine der Kerzen heran und stellte sie zwischen sich und den Jungen und starrte eine Weile mit nachdenklichem, fast verloren wirkendem Blick in die Flamme.
»Ich habe es nur meiner Neugier, meinem Interesse und meinem Talent zu verdanken, dass ich in die Dienste von Madi Tarai treten durfte. Denn ich habe keine natürliche Gabe wie du.«
Aus irgendeinem Grund fühlte sich Alduin veranlasst ihn zu trösten. »Aber die Hauptsache ist doch, dass es überhaupt funktioniert«, meinte er. »Ihr habt den Vorteil, dass Ihr die Vision genau steuern und kontrollieren könnt, während ich mir nicht aussuchen kann, wann mich eine Vision überwältigt und wann nicht.«
»Aber es gibt einen Unterschied zwischen der natürlichen und der erlernten Begabung«, flüsterte Malnar und für einen kurzen Augenblick sah Alduin eine grenzenlose Sehnsucht in seinem Blick.
Tiefes Schweigen herrschte, als hielte die Welt den Atem an. Dann war der Augenblick vorbei und Malnars Miene hellte sich auf.
»Ja, es ist nützlich, wenn man selbst entscheiden kann, wann oder wo man über den gegenwärtigen Moment hinaussehen will«, räumte er ein. »Schauen wir mal, ob du in der Flamme irgendetwas entdecken kannst.«
Er schob die Kerze direkt vor Alduin. »Nun sieh direkt hinein. Erlaube deinen Gedanken eins mit der Flamme zu werden, und versuche herauszufinden, ob sie dir etwas zu sagen hat.«
Alduin tat, worum Malnar ihn geben hatte; doch nach einigen Minuten gewann er den Eindruck, er könne die Flamme noch stundenlang anstarren und nichts würde geschehen.
»Ehrlich - ich sehe nur die Flamme«, sagte er schließlich und hoffte den Mann nicht allzu sehr zu enttäuschen. Doch Malnar schien es nichts auszumachen.
»Mach dir keine Sorgen! Es gibt verschiedene andere Dinge, die wir noch ausprobieren können, bevor wir aufgeben. Warte mal einen Moment!«
Er sprang auf, verschwand hinter dem Vorhang und kehrte kurz darauf mit einer Schale Wasser zurück.
»Die vier Elemente sind oft ein gutes Medium, aber die Menschen haben unterschiedliche Beziehungen zu ihnen. Luft ist am schwersten greifbar, wie du dir vorstellen kannst. Dennoch spielt sie bei der Bindung zwischen Raiden und Falken eine große Rolle; Luft könnte deshalb dein natürliches Element sein. Aber schauen wir erst mal, ob sich bei Wasser irgendetwas tut.«
Auch das Wasser brachte keine Visionen zu Tage, genauso wenig wie der Sand, den Malnar durch einen Messbecher rinnen ließ, ein geschliffener Kristall, eine klare Glaskugel oder eine sich schnell drehende Metallscheibe, die Alduin anstarren musste.
»Ich ... ich glaube nicht, dass das funktioniert«, sagte Alduin schließlich resigniert und müde. »Es passiert gar nichts, ich bekomme nur Kopfweh.«
Enttäuschung zeigte sich für einen kurzen Augenblick in Malnars Zügen, doch dann lächelte er wieder zuversichtlich.
»Ja, natürlich - vielleicht hätten wir nicht schon am ersten Tag so viele Dinge ausprobieren sollen. Hören wir für heute damit auf.« Er schwieg eine Weile, dann meinte er: »Es gibt noch vieles andere, was ich dir beibringen kann. Wofür interessierst du dich denn besonders?«
Alduin dachte kurz nach. »Meister Torm erklärte uns neulich, wie stark der Einfluss der Monde und der Sternbilder auf uns ist. Das fand ich sehr spannend. Dass uns die Sterne über so weite Entfernungen hinweg beeinflussen können ...
»Ja, das ist wirklich erstaunlich«, stimmte Malnar zu. »Man muss sich das bloß einmal vorstellen, dass die ganze Welt ein ... wie soll ich es ausdrücken? ... ein Netz von Kräften ist und dass alles miteinander verwoben ist. Das kann unser Verstand kaum verarbeiten.«
Malnar erwärmte sich für das Thema und vor lauter Erregung sprach er lauter und die Wörter schienen ihm nur so aus dem Mund zu sprudeln. Dabei blickte er in eine unbestimmte
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