Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
fragte Alduin, der sich weigerte, das zu verstehen, was Aranthia und Malnar so deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
»Sie ist von uns gegangen. Sie hat diese Welt verlassen«, sagte Bardelph.
»Aber ...«, begann Alduin, »das kann nicht sein! Ich war doch gerade noch bei ihr! Und sie war so ... so gut gelaunt ... Sie kann doch nicht...«
Aber plötzlich erinnerte er sich an Madi Tarais letzte geflüsterte Worte und ihren seltsamen Ausdruck im Gesicht ... Wenn es den Göttern beliebt ... hatte sie gesagt. Hatte sie vielleicht eine plötzliche Eingebung gehabt? Er schüttelte den Kopf, weigerte sich immer noch zu glauben, dass sie nicht mehr lebte.
»Aber sie darf doch nicht ... Sie hatte mir noch so viel zu sagen ... Und ich brauche sie noch ...«
Aranthia vergaß ihre eigene Verzweiflung und tröstete ihren Sohn, so gut sie konnte.
»Wir alle hätten sie noch gebraucht und es schmerzt uns zutiefst, Alduin. Aber ihre Zeit war gekommen. Sie würde uns bestimmt den Rat geben, an uns zu glauben und unseren Weg selbst zu finden ... auch ohne ihre Führung ...«
»Aber das ist nicht gerecht!«, rief Alduin aus. »Ich ... es ist einfach nicht gerecht!«
Obwohl er wusste, dass die drei Erwachsenen nichts dafür konnten, war er plötzlich wütend auf sie. Mit dieser Nachricht hatten sie es geschafft, seine begeisterte Stimmung mit einem Schlag zunichte zu machen.
»Ich ... ich will allein sein ...«, stotterte er und rannte davon, ohne auf die bittende Geste seiner Mutter zu achten.
»Lass ihn, Aranthia«, sagte Bardelph. »Das ist ein schwerer Schlag für ihn, besonders nach allem, was er in diesen Tagen schon erlebt hat. Er braucht einfach Zeit für sich selbst.«
Er wandte sich an Malnar. »Was ist jetzt zu tun?«
Der Onur war in sich zusammengesunken und richtete sich langsam wieder auf. Seine Miene zeigte, dass er sich mit den praktischen Dingen noch nicht beschäftigt hatte. »Ich ... nun, ich vermute, dass wir den Rat in Kenntnis setzen müssen. Madi war hoch angesehen und die Nachricht wird viele sehr traurig stimmen. Ein Scheiterhaufen muss errichtet werden. Sie hat verfügt, dass ihre Asche über dem Meer verstreut werden soll.«
»Es wird dir gut tun, wenn du dich jetzt gleich darum kümmerst«, sagte Bardelph zu ihm. »Aranthia und ich werden Madi Tarai für die Trauerfeier vorbereiten.«
Aranthia nickte dankbar. Sie stand noch immer unter Schock; etwas tun zu können, würde ihr helfen mit der Trauer fertig zu werden. Durch Madis Tod fühlte sie sich völlig verlassen, obwohl sie sich eingestehen musste, dass sie die alte Freundin selbst viele Jahre lang vernachlässigt hatte. Wie das Leben manchmal spielt, dachte sie. Gerade jetzt, da sie allmählich begann sich mit der Gabe des zweiten Gesichts abzufinden und wieder die Fäden ihres früheren Lebens aufzunehmen, wurde ihr die einzige Person genommen, die ihr dabei hätte helfen können. Würde sie die Kraft und den Mut aufbringen, den Weg allein fortzusetzen? Sie schüttelte den Kopf - jetzt war nicht der richtige Moment, um darüber nachzudenken. Sie lächelte Bardelph zu und nickte. »Ja. Gehen wir.«
Alduin warf sich wütend auf sein Bett. Er wusste, dass er sich ungerecht verhielt, aber er brauchte jemanden, den er für das verantwortlich machen konnte, was geschehen war. Es war am leichtesten, die Schuld auf Madi abzuwälzen. Wie konnte sie nur? Erst hatte sie ihm alle möglichen Ideen in den Kopf gesetzt, die wahrhaft gewaltig waren, und dann verschwand sie einfach und überließ ihn sich selbst. Das war nicht fair. Wie konnte sie es wagen! Er schlug mit beiden Fäusten auf sein Kissen ein, immer schneller, bis er sich schließlich erschöpft und weinend hineinsinken ließ. Endlich wurde er ruhiger; ein eigenartig friedliches Gefühl breitete sich in ihm aus und er schlief ein.
Die Sonne versank bereits hinter dem Horizont, als er wieder aufwachte. Erilea stand an der Tür.
»Ich wollte dich gerade aufwecken«, sagte sie.
»Weißt du schon, was geschehen ist?«
»Ja. Die ganze Stadt weiß es, glaube ich. Der Trauerzug wird bald beginnen.«
»Trauerzug?«
»Ja. Vor der Stadtmauer ist ein großer Scheiterhaufen errichtet worden. Sie werden Madis Körper dorthin überführen.«
»So bald schon?«
Sie nickte. »Malnar sagt, die Sterne stünden günstig und es sei besser, nicht länger zu warten.«
»Dann werden wir wohl sofort losmüssen«, sagte Alduin und sprang aus dem Bett.
Sie waren nicht die Einzigen,
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