Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
verärgert. Nach einer Weile schien sie sich aus der Starre zu lösen, als sei sie aus einem langen Traum erwacht, und nickte. Ob das Nicken den Männern galt, die auf das Zeichen warteten, den Käfig abzusenken, oder Alduins Versprechen? Womöglich aber war gerade ein weiteres Samenkorn gepflanzt worden, dachte Erilea, als sich die Mauern des Schachts um sie schlossen.
Es war schwer abzuschätzen, wie lange die Fahrt in die Tiefe andauerte. Breite Bohlen bedeckten die Oberseite des hölzernen Konstrukts und verdrängten das Zwielicht von oben aus, während es sich langsam in die Eingeweide der lehmhaltigen Erde hinabsenkte. Fea Lome schnaubte ängstlich und litt unter der ungewohnten Enge und der Dunkelheit. Erilea flüsterte ihr besänftigende Worte ins Ohr, und die Stute ließ sich langsam beruhigen. Allmählich wich die Finsternis dem warmen Schein der Laternen, und der Käfig kam mit einem Ruck zum Stehen.
Alduin führte Fea Lome am Zügel nach draußen. Die Stute schnaubte zufrieden, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Eine Felshöhle tat sich vor ihnen auf. Mehrere Stollen gingen von ihr aus und führten wie Spinnenbeine in den Berg. Das Metall von herumliegendem Bergbauwerkzeug glänzte weich im Licht der Laternen. Doch weit und breit war kein Mensch zu sehen. Alduin und Erilea sahen sich um. Der Gang, dem sie folgen wollten, war zu beiden Seiten des Felseingangs mit Laternen schwach beleuchtet und so hoch, dass man durchreiten konnte.
Die beiden tauschten einen stummen Blick. Alduin stieg auf und hob Erilea in den Sattel. Das Pferd fasste ganz schnell wieder Vertrauen. Anfangs lief es folgsam, wenngleich noch sehr ängstlich. Alduin grub in seiner Satteltasche nach ein paar getrockneten Früchten und Nüssen. Eine Zeit lang kauten sie schweigend.
Obgleich die Laternen nur in langen Abständen ihren Weg schummrig beleuchteten, war es immer noch hell genug, um die dicken Eichenholzbalken zu erkennen, die den Fels stützten. Im weiteren Verlauf sickerte das Wasser durch feine Ritzen und sammelte sich am Boden in Pfützen, ein Zeichen dafür, dass sie nun direkt unter dem Mangipohr waren.
»Wie lange es wohl gedauert haben muss, einen solchen Tunnel zu graben?«, fragte sich Alduin.
Erilea kamen Zweifel auf. »Ob er wohl sicher ist? Die Vorstellung, dass über uns tonnenweise Wasser fließt, macht mir richtig Angst. Könnten wir nicht etwas schneller reiten?«
»Keine Sorge«, versuchte Alduin sie zu beruhigen. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass Wendle und ihr Stamm schlechte Arbeit geleistet haben. Du etwa?«
»Schätze, du hast recht.« Aber Alduin spürte Erileas Unbehagen.
»Der Boden könnte an manchen Stellen rutschig sein. Wir reiten besser im Schritt weiter. Keine Angst, uns passiert schon nichts.«
Es war ein langer Ritt. Der Weg zur anderen Uferseite wurde steil und steiler und der Tunnel schmaler und niedriger.
»Bleibt uns nichts anderes übrig. Hier müssen wir wohl absteigen und die Stute führen. Das hier scheinen die letzten Laternen vor dem Ausgang zu sein.«
Tatsächlich endete der Tunnel hier, doch der Ausgang führte nicht ins Licht. Stattdessen ging er in einen noch schmaleren, niedrigeren Stollen über - kaum vorstellbar, wie ein größeres Pferd hier hätte weiterkommen können. Fea Lome zitterte am ganzen Leib, obwohl sie schweißnass war. Alduin und Erilea überkam ein eigenartiges Gefühl, als die Wände näher und näher rückten. Ihre Nerven waren zum Bersten gespannt. Ein Geräusch erregte Alduins Aufmerksamkeit.
»Ich höre Wasser«, sagte er und lauschte.
»Der Mangipohr?«
»Kann nicht sein. Klingt eher wie ein Bach direkt vor uns. Wir sollten vorsichtig sein. Erinnerst du dich noch an Wendles Warnung?«
Die kalte, feuchte Luft, die sie den Großteil des Weges begleitet hatte, wurde spürbar frischer und wärmer und schien ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass sie bald den Ausgang erreichen würden. Das Geräusch des rauschenden Wassers nahm zu, und langsam schälten sich Formen aus der Dunkelheit. Dann - ganz unvermittelt - hatten sie einen laubüberdachten Felsvorsprung erreicht. Sie hörten das Wasser rauschen, konnten es aber nicht sehen. Dicke, tauähnliche Wurzeln verdeckten die Sicht. Sie sollten offensichtlich den Eingang von der anderen Uferseite tarnen.
Erilea ging voraus, während Alduin mit Fea Lome folgte. Nach einer Weile machte der Weg eine Biegung und schien eine Sackgasse zu sein, die in einem wilden Gewirr von
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