Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
erschlaffen. Winzige Runzelfalten zeichneten sich über der Adlernase ab. Adlernase? Ja, in diesem verwitterten, verhärteten Gesicht sah sie tatsächlich aus wie die eines Raubvogels. Früher war es eine Art Prophezeiung gewesen, wenn ich sagte, ich sei ein Stonehouse. Jetzt war es eine Tatsache. Allein mein flammend rotes Haar war ein Anzeichen von Aufbegehren.
Ich wandte mich ab. Annes Trauer und ihre Sorgen waren aufrichtig gewesen. Aber ich konnte nicht verhindern, dass der Gedanke sich in meinen Kopf schlich, dass sie und Lucy beides benutzten, um mich zurückzulocken. Und wenn ich hierher zurückkäme, dann als Stonehouse.
Lucy hatte sich gesetzt und genoss wie üblich die Wirkung, die sie hervorgerufen hatte. Zumindest glaubte ich das.
»Ihr scheint Euch plötzlich große Sorgen um meine Frau zu machen, Madame.«
Ihre Worte kamen ungeschönt und bitter heraus, ohne die üblichen höflichen Vorreden. »Ihr glaubt, ich hätte kein Herz für etwas anderes als Politik. Es scheint Euch nie in den Sinn gekommen zu sein, dass, nachdem mein Kind und mein Gatte gestorben waren, in meinem Herzen für nichts anderes mehr Raum war. Ich will nicht, dass es Euch ebenso ergeht.«
Sie sprach aufrichtig und ungekünstelt, aber ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich manipuliert wurde. Ruhelos wanderte ich die Galerie entlang.
»Ich vermute, ich schulde Euch eine Menge. Annes Kleid muss sehr teuer …«
»Sie bezahlt alles von ihrem eigenen Geld«, sagte Lucy kühl.
»Von ihrem eigenen Geld? Sie hat keins. Sie hat mir das Geld von meinem Sold zurückgegeben. Ihr eigenes Geld? Wo sollte sie das herhaben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Lucy noch kühler.
Ich war die Treppe zu Annes Wohnung halb hinaufgestiegen, als ich hinter der Tür Stimmengemurmel vernahm. Dann hörte ich ein Geräusch, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Luke lachte. Anne wollte, dass er ihr etwas gab, und er wollte nicht. Ich hatte die Hand schon fast am Türknauf, als er sagte: »Ich habe ihn gehört.«
»Luke … er ist dein Vater. Es gibt keinen Grund, dich zu fürchten.«
»Ich habe ihn gehört!«
In seiner Stimme schwang ein Hauch jener anschwellenden Panik mit, die zu seinem letzten Anfall geführt hatte. Ich konnte nicht zulassen, dass er das noch einmal durchmachte, und kehrte zu Lucy zurück.
»Was geht hier vor?« Sie schüttelte den Kopf. »Ihr wisst es nicht? Ihr scheint genauso wenig darüber zu wissen, was hier los ist, wie ich, Madame.«
Sie beugte sich zu mir hin und sagte mit Nachdruck: »Darum müsst Ihr hierher zurückkommen. Ich kann nicht zu ihr vordringen.«
Unschlüssig blieb ich stehen und blickte die Treppe hinauf. Erneut hörte ich ein unbeschwertes Lachen. Dieses Mal kam es von Anne.
»Nun, ich kann ganz gewiss nicht zu ihr vordringen«, sagte ich.
31. Kapitel
Ich wurde unausstehlich. Ich verschloss mich jedem gegenüber, es sei denn, es hatte etwas mit der Arbeit zu tun, der ich mit grimmigem Eifer nachging. Nachdem ich vorher unablässig an Anne gedacht hatte, dachte ich jetzt überhaupt nicht mehr an sie. Auch nicht an Luke, obwohl er in meine Träume eindrang, in denen ich zu George wurde, der versuchte, ihn ins Feuer zu stoßen. Dann wachte ich schweißgebadet und glühend vor Hitze auf, obwohl die Winterkälte sich im Dachboden festgebissen hatte. Ich schleppte mich nach unten und korrigierte einen Probeabzug oder ölte die Druckerpresse. Mehrmals trat ich beinahe auf Ellie, die wie ein Hund am Fuß der Stiege schlief. Ich schmiss sie raus und brüllte sie an, sie solle zu Matthew zurückkehren, aber sie kam immer wieder zurück, zurück unter meine Füße, bereit, mit einer Flugschrift loszulaufen oder mir eine Pastete auf den Schreibtisch zu stellen, von der ich einmal abbiss, um sie anschließend zu vergessen.
Die Lage der Armee , die Flugschrift, die für die Reform des Parlaments stritt, verkaufte sich gut an den Buchständen, und wir druckten gerade die zweite Auflage, als Wildman überaus aufgeregt hereinkam. Cromwell hatte zugestimmt, Ende des Monats ein Treffen des Militärrats einzuberufen, um darüber zu diskutieren. Der Militärrat setzte sich nicht nur aus hochrangigen Offizieren wie Cromwell, Fairfax und Ireton zusammen. Zwei Offiziere und zwei einfache Soldaten aus jedem Regiment gehörten dazu. Viele Soldaten und ein paar Offiziere befürworteten unsere Argumente. Wildman sollte diese Argumente bei dem Treffen vortragen.
Ich half ihm, seine Rede vorzubereiten. Da Wildman
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