Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
tiefer in den Schatten einer Baumgruppe hinein, und band es dort fest. Ich zögerte, ob ich mein Schwert zurücklassen sollte, aber man würde es mir ohnehin abnehmen. Ich schob es in das Sattelholster und schritt auf das Haus zu.
Falls Parlamentsabgesandte anwesend waren, wäre es zu riskant, mich als Stonehouse melden zu lassen. Ich sagte, ich sei Thomas Neave. Sir Lewis würde wissen, wer ich war, sobald er Stalkers Empfangsbestätigung für Scogman sah. Der Diener wirkte nicht überrascht über einen so späten Besucher. Der geflieste Boden war von matschigen Stiefelspuren übersät. Überall im Haus hörte man Knarren und Schlurren, gesenkte Stimmen und Türen, die leise geöffnet und wieder verschlossen wurden. Mein Herz begann heftig zu pochen. Von einem Gesandten Holles’ entdeckt zu werden käme einer Katastrophe gleich.
Glücklicherweise war der Hauptflügel, anders als der Tudorflügel, in dem ich ein wenig Licht und Leben erspäht hatte, das dunkelste und düsterste Gebäude, das ich je betreten hatte. Ich stand in der Dunkelheit, bis der Diener mich in einen kargen, eichenvertäfelten Raum führte, der teils als Warteraum, teils als Garderobe diente. Er war feucht, spärlich beleuchtet und roch immer noch nach Winter. Ich hängte meinen Umhang neben einen mit einem Samtkragen, der meinen, nach dem Kampf mit Will zerrissen und beschmutzt, regelrecht beschämte.
Auf einem Mahagoni-Tischchen wirkte eine Bibel neben zwei Folianten vollkommen unscheinbar. Fox’ Buch der Märtyrer war ein Werk mit Holzschnitten von Protestanten, die auf den Scheiterhaufen der Katholiken brannten. Wie viele strenggläubige Puritaner erwartete Sir Lewis von seinen Besuchern, dass sie keinen Moment müßig herumsaßen, sondern über die Kräfte des Antichristen nachsannen, mit dem sie zu kämpfen hatten – nicht nur mit Katholiken, sondern auch mit Priestern wie Mr Tooley, die Toleranz predigten. Es gab so viele Abbildungen, dass die Bücher nach verbranntem Fleisch zu riechen schienen.
Ich blätterte zum Titelblatt. Es gab eine Widmung aus dem Jahre 1610: »Für Lewis. Lies täglich über einen Märtyrer, um dich daran zu erinnern, dass die Leiter zum Himmel mit Gefahren, Qualen und Schmerzen gepflastert ist. Fugit hora. James Challoner Bt.«
Vermutlich war das Sir Lewis’ Vater gewesen. Fugit hora – die Stunde vergeht. Ein Geschenk zu seinem fünften oder sechsten Geburtstag? Mich schauderte. Ich war Sir Lewis deswegen nicht stärker zugetan, aber ich hatte das Gefühl, ihn etwas besser zu verstehen. Ich schloss das Buch. Eine plötzliche, unheimliche Stille hatte sich über das Haus gelegt. Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit. Weiter hinten in der düsteren Halle war eine andere Tür geöffnet. Ich entdeckte Sir Lewis’ unförmige Gestalt, aber der Mann, der bei ihm war, blieb im Schatten verborgen. Er machte einen Schritt auf die Eingangstür zu, doch Sir Lewis hielt ihn auf.
»Mein Umhang …«
»Nicht dort entlang.«
Es klang, als sei Sir Lewis ebenso besorgt um meine Entdeckung wie ich. Die Stimme seines Besuchers kam mir vage bekannt vor, aber ich konnte sie nicht einordnen. Ich schloss die Tür. Ein Diener kam, um den Umhang zu holen, und kehrte kurz darauf zurück, um mich in einen Raum zu führen, den Kerzen vergebens zu erhellen suchten. Die Möbel waren aus dunkler Eiche, keine einzige Schnitzarbeit milderte die Strenge. Die wenigen Porträts waren von Alter und Rauch geschwärzt. Eines davon könnte Sir Lewis’ Vater darstellen, einen streng dreinblickenden Mann mit der Bibel in einer Hand. Die andere ruhte auf einem Totenschädel. Sir Lewis schritt hinter einem Schreibtisch auf und ab, auf dem einige Papiere von einem Siegel gehalten wurden.
»Ihr habt Nerven, hierherzukommen – Mr Neave.«
»Bitte verzeiht …«
»Noch eine Entschuldigung! Entschuldigungen kosten nichts!«
Er schleuderte den Brief, den ich aus London geschickt hatte, auf den Schreibtisch. Diese Worte habe Lord Stonehouse aus mir herausgepresst, sagte er. Jeder in der Börse wisse, dass ich den Brief unter Zwang verfasst hätte, weil Lord Stonehouse mir die Mittel gestrichen hätte, weil ich wieder zu dem Nichts geworden sei, schlimmer als ein Nichts – weil ich wieder zu dem Bastard geworden sei, der ich war. Der Brief sei genauso aufrichtig wie die Gebete einer Hure. Ich presste die Lippen zusammen, meine Wangen brannten. Ich hatte vergessen, wie sehr ich ihn verabscheute.
Nur dem instinktiven Wissen, dass er
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