Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
verbranntem Fleisch in der Luft hing. Seine Miene verriet eher Hochgefühl als Schmerz. Seine anderen Finger waren vernarbt und gerötet von solcherlei Übungen. Auf einem Finger erkannte ich eine Blase. Diese Methode, erklärte er mir, zeige einem Kind, was die protestantischen Märtyrer für ihren Glauben erlitten hatten.
Ich deutete auf das Bild des Mannes mit dem Totenschädel. »Ist das Euer Vater, Sir?«
»Mein Großvater. Er wurde von dieser papistischen Schlampe, Mary Tudor, auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
Ich blickte erneut auf Sir Lewis’ verbrannte Finger. Die Kasteiung des Fleisches hatte ich bislang eher für eine katholische Praxis gehalten. Sie opfern den Leib, damit die Seele leben kann, aber es schien, dass auch diese Puritaner sich selbst ebenso foltern wie andere. Der Schmerz, den er sich zugefügt hatte, hatte ihn in einen euphorischen Zustand versetzt. Er wurde beinahe freundlich, sagte, er sei ein schlechter Gastgeber, weil er mir kein Essen und kein Bett angeboten hatte. Ich erwiderte, das sei sehr zuvorkommend von ihm, aber ich hätte weder Zeit für das eine noch für das andere. Und er auch nicht, wenn er das Land von Lord Stonehouse in Besitz nehmen wolle. Colonel Wallace würde mein Regiment binnen zwei Tagen zerschlagen. Ich musste die Informationen bekommen und aufbrechen.
Er starrte auf die Karte, dann auf das Siegel des Falken. »Ich muss Euch glauben. Ich werde Euch einen Teil meines Wissens jetzt anvertrauen. Dabei baue ich auf Eure Verschwiegenheit, ist das klar?«
Er führte mich vom Bild seines gemarterten Großvaters fort und flüsterte, als würde das Porträt zuhören: »Colonel Wallace favorisiert Holles. Das ist wahr. Aber er hat kein Geld, um die Truppen zu bezahlen. Denzil – Holles – sammelt für ihn in London, aber diese knauserigen Ostindien-Kaufleute feilschen genauso hart wie, wie … nun ja, wie Lord Stonehouse.«
Er lachte und schlug mir auf den Rücken. Ich wusste, dass die Soldaten sich keinen Schritt von der Stelle rühren würden, wenn sie kein Geld bekämen. Sir Lewis klingelte nach dem Diener, befahl, etwas zu essen zu bringen und einen Raum herrichten zu lassen. Ich hatte das Gefühl, es wäre ungehobelt, beides abzulehnen, und wollte seinen Stimmungswechsel ausnutzen, also willigte ich ein, mit ihm zu speisen. Währenddessen konnte er mir die Informationen geben und ich brauchte ihm keine Umstände wegen der Übernachtung zu bereiten.
»Es wären doch keine Umstände, Tom. Es gibt doch kein größeres Vergnügen, als sich nach solchen Meinungsverschiedenheiten wieder zusammenzuraufen, was?«
Ich nickte. Ich hatte immer noch den Geruch von verbranntem Fleisch in der Nase, der im talgigen Flackern der Kerzen nachzuschwingen schien, und schwor mir, dass ich nicht länger als nötig an diesem Ort bleiben würde.
Er führte mich in einen langen, dunklen Raum, spärlich erhellt von den Kerzen auf dem ebenso langen Tisch. Die hohen Fenster am anderen Ende des Raumes waren mit schmutzig-dunklem Samt verhängt, einer rauchgeschwärzten Version dessen, was offensichtlich einst ein kräftiges Karmesinrot gewesen war. Ich zögerte, ehe ich Platz nahm. Es gab so viele Stühle, und die Tafel war so lang, und wir waren nur zu zweit zum Abendessen. Ich empfand einen Widerwillen, in der Nähe dieses Mannes zu sitzen, seines verbrannten Fingers, des Geruchs von angekokeltem Fleisch, aber ich konnte mich auch nicht zu weit von ihm entfernt niederlassen. Doch er entschied die Angelegenheit mit höfischer Zuvorkommenheit, deutete auf einen Stuhl nah bei seinem eigenen, und ich war froh, mich setzen zu können.
Entschlossen, meine fünf Sinne beisammenzuhalten, rührte ich den Wein nicht an. Aber beim Anblick einer riesigen Scheibe kalter Wildbretpastete verspürte ich unerwarteten Hunger, und ich schlang sie zu rasch herunter. Ein Mund voll von erkaltetem Fett und der Anblick von Sir Lewis, der an der Blase an seinem Finger zupfte, ließen mich würgen und husten. Ehe ich mich recht besann, hatte ich einen Schluck Wein genommen, dann noch einen. Sir Lewis füllte mir nach und hob sein Glas, um auf unsere Zusammenarbeit anzustoßen. Darauf trank ich und sagte, dass ich verschwinden würde, sobald er mir die Informationen gegeben hätte. Er erklärte, dass es dabei drei Probleme gäbe, und zählte sie an seinen brandigen Fingern ab.
Erstens, er empfände meine Gesellschaft als unerwartet angenehm und würde nur ungern darauf verzichten.
Zweitens, die
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